Wünsche zu Weihnachten – ja, Wünsche…

Foto: Rüdiger Edelmann

Das war bisher jedes Jahr immer relativ einfach, selbst wenn sich die Wünsche unterschieden. Seit fast zwei Jahren sieht die Lage anders aus.

von Rüdiger Edelmann

Der Wunsch wird zusehends zum Hilfeschrei. Allein, isoliert, in Existenznot, in Angst vor dem, was eventuell jetzt wieder auf uns zukommt.

Vor einem Jahr waren wir im Weihnachts-Lockdown, aber beseelt von der Tatsache, dass jetzt endlich ein Licht am Horizont auftaucht. Impfung, ja die Impfung als Schutz vor einem Virus, der die ganze Welt fest gepackt hatte.

Beta, Delta, Omikron…

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Heute stehen wir da und können, trotz Impfung, nur darauf hoffen, dass die nächste Virusvariante, Omikron, soweit um uns einen Bogen macht, dass wir uns, trotz Impfung, nicht doch infizieren.

Ich hätte nach dem Aufatmen, dass eine Impfung möglich ist, auch nicht gedacht, dass wir ein Jahr später dastehen und feststellen, dass die heilsbringende Spritze von zu wenigen Menschen akzeptiert wurde, um die berühmt-berüchtigte Herdenimmunität zu erreichen.

„F… Corona“ lässt sich zwar intonieren, nur was nutzt es, wenn mindestens ein Viertel der Bevölkerung anders, quer oder gar nicht denkt. Es ist so ermüdend zu diskutieren und zu argumentieren, wenn weitgehend feststeht, dass mein Gegenüber ohnehin nicht zuhört; wenn wissenschaftlich gut begründete Argumente schlicht die eigentlichen Adressaten nicht mehr erreichen.

Es ist auch ermüdend zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass die Welt nicht kapiert, dass wir Chancen vertun, wenn wir nicht auch den Ländern, die sich Impfstoff kaum oder gar nicht leisten können, mit genau dem versorgen, was wir so selbstverständlich in Anspruch nehmen könnten (wenn wir’s denn alle täten).

Ist die ganze Diskussion einfach zu theoretisch? Können wir uns viel zu einfach wegducken und ignorieren, was in unseren Kliniken vor sich geht?

Wir können uns das schlicht nicht leisten. Die britische Omikron-Infektionskurve zeigt uns gerade eindrucksvoll was droht. Aber lasst uns lieber erst mal Weihnachten feiern.

Täglich eine abgestürzte B747 oder A380

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Als Reisejournalist stelle ich mir manchmal vor, wie die Menschheit, oder sei es nur die deutsche Bevölkerung reagieren würde, wenn täglich ein Passagierflugzeug abstürzen würde und dadurch 200 bis 500 Menschen ihr Leben verlören. Der Aufschrei wäre vermutlich groß. Es würden sofortige einschneidende Maßnahmen gegen die zivile Luftfahrt gefordert.

Wenn genauso viele Menschen still, vereinsamt, über das Land verteilt, auf der Intensivstation sterben, dann nehmen wir das inzwischen einfach zur Kenntnis. Menschen werden zu Zahlen und die relativieren sich, wenn es täglich ein paar Hundert, nur in unserem Land, sind. Eigentlich unfassbar.

Zweckoptimismus Marketing

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Wir arbeiten inhaltlich innerhalb deiner Wirtschaftsbranche, die es besonders schwer hat. Wer in den letzten Wochen und Monaten genauer hingesehen hat, konnte aber den Eindruck bekommen, dass eine Industrie, die vermeintliches Glück verkauft, nicht viel gelernt hat. Wenn ein großer Konzern schon wieder von bevorstehenden Umsatzrekorden blubbert, wenn Corona-Welle 4 in unserem Land durchstartet, dann erinnert mich das an „Party vor der Kapitulation“.

Die Welt ist gerade nicht so schön, wie es der Umsatz braucht. Das wissen ohnehin alle. Warum dann die hohle Fassade, warum das „Erstaunen“, wenn es anders kommt.

Nerven liegen blank… 

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Ich merke es an mir selber und ich registriere nervenbedingte Befreiungsschläge, die leider immer öfter in Aggressivität umschlagen. Man suche sich einen Bereich im Lebensumfeld und haue kräftig drauf. Ergebnis: Eventuelle und vorübergehende Erleichterung. Aber bringt uns das weiter?

Ich verstehe, dass das auch eine Form der Panik ist, die um sich greift. Meist bringt sie das Gegenteil von dem, was man sich wünscht. – Dies habe ich gerade in den letzten Tagen erlebt. Was bringt es, sich den Frust von der Seele zu schreien und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass am Ende genau dieser Frust bei ALLEN (inklusive des eigenen Ichs) noch größer ist. Er kommt zurück, garantiert. Dann geht es einem persönlich meist noch ein wenig schlechter.

Vielleicht ist es müßig zu angemessenem, achtsamen Umgang untereinander aufzurufen, sich um Solidarität und gegenseitige Hilfe zu bemühen. Ich tue es trotzdem mal.

Wunsch nach Perspektiven

Foto: Rüdiger Edelmann

Dies gilt auch für uns in der VDRJ. Wir sind Teil dieser glücksbeseelten Ferienbranche. Sie ist unsere Arbeitsgrundlage. Hier rächt sich jetzt die selten vorhandene kritische Distanz, die Journalismus eigentlich zu eigen sein soll.

Gerade jetzt darf Reisejournalismus nicht der PR-Ableger der Wirtschaftszweige sein, über die wir berichten. Letztlich schreiben wir ja eigentlich für die Urlauber, die genauso verunsichert sind, wie wir selbst. Unseren „Kunden“ gegenüber sollten wir ehrlich sein. Das ist Sinn, Zweck und Pflicht von Journalismus.

Dabei ist die Corona-Pandemie nicht die einzige Baustelle, die es zu beackern gilt. Klimakrise, wirtschaftliche Ungleichheit und Schieflage in der Welt, politisches Kalkül von Staaten, über die wir, ohne kritische Nachfrage, geschrieben haben, weil sie genügend Sonne, Sand und Meer besitzen, auch wenn sie Menschenrechte prügeln.

Es gäbe und gibt so viele reisejournalistische Herausforderungen. Daran zu arbeiten und auch gemeinsam dazu Stellung zu beziehen, könnte eine Perspektive sein.

Wir müssen wieder mehr Gehör finden. Dort wo wir Menschen erreichen. Ein Hochglanzmagazin für unser eigenes Ego und wenigen Lesern wird uns dabei nicht weiterbringen. Andere Formen der medialen Öffentlichkeit eventuell schon. Hier brauchen auch wir das Konzept, an dem wir jetzt arbeiten.

Garantien gibt es derzeit ohnehin keine, weder in den Medien noch in der Reiseindustrie. Die Zeiten von „Wünsch Dir was, dann kriegste das“ sind vorbei. Trotzdem: Frohe Weihnachten.

Foto: Rüdiger Edelmann

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