Die Qual mit Digital

Die Qual mit Digital © Rüdiger Edelmann

Ruediger Edelmann

Es gibt nur die Null und die Eins. Der IT-Kalauer dazu lautet: „Geht oder geht nicht“. Das ist digital.

In der Arbeitspraxis geht heute nichts mehr, ohne die vielen hübschen Geräte und ihre Folgen. Alles, fast Alles, gibt es inzwischen in der digitalen Variante. Wir leben damit. Und was vor Jahren noch ein Abenteuer war, ist heute selbstverständlich. Die Entwicklung ist rasant: Rechenzentrum, PC, Desktops, Notebooks, Tablets, Smartphone. Wir sind begeistert von der Fähigkeit der immer kleiner werdenden Geräte. Die Faszination wächst mit dem „World Wide Web“, die Softwareangebote kommen immer ausgefeilter daher und die IT-Experten überholten sich permanent selber.

Eine Erinnerung

Das Internet steht uns jetzt seit 25 Jahren zur Verfügung. Ich selber bekam von meinem Arbeitgeber erst acht Jahre später einen Netzzugang. Der zuständige Hörfunkdirektor, der heute auch keinen Schritt mehr ohne sein Smartphone macht, ging bis 1998 davon aus, dass zum Recherchieren ein oder maximal zwei Internet-Terminals im Archiv genügen sollten. Originalzitat: „Dieses Internet wird überschätzt.“ – Heute muss man konstatieren, dass er und auch wir „dieses Internet“ unterschätzt haben. Aber wussten wir, wie schnell die Entwicklung voran schreitet? Ich denke nein, denn sonst hätte das Nachdenken über die digitale Auswirkung früher eingesetzt.

Digitale Mobilität

Vor 25 Jahren gab es noch Reisebüros ohne PC-Anschluss. Reisebuchungen übers Internet waren ein Fremdwort. Vor drei Monaten präsentierten TUI und Google eine GfK-Studie: Demnach werden jede zweite Reise und rund ein Drittel aller Pauschalreisen online gebucht werden. Und selbst wer heute noch im Reisebüro bucht, hat zu 58 Prozent vorher eine Internet-Recherche durchgeführt. Dabei nutzt der Kunde die unterschiedlichsten Geräte und das durchschnittlich sogar 26 Mal. Online war gestern, mag man angesichts von Smartphones, Tablets und den dort implantierten Apps unterstellen. Zugegeben, wenn es schwierig wird, dann landet der Reisewillige bei den Hotlines der Veranstalter oder am Ende doch im Reisebüro.

Schon jetzt aber wird auch hier die zwingende Verzahnung gepredigt. Das Gesamtpaket Urlaub wird digital werden. Apps speichern Bordkarten und Hotelvoucher, kündigen Flugänderungen an und liefern parallel auch noch den digitalen multimedialen Reiseführer. Aufgeschmissen ist nur der nicht ganz so gut betuchte Urlauber, der in einem Ferienresort ohne kostenfreies W-LAN endet. „Aber das kriegen wir auch noch hin“, sagen die Veranstalter.

Digitale Medien

Vor 25 Jahren saßen Journalisten noch vor der Schreibmaschine und schrieben oder hackten, je nach Kenntnis, ihre Texte aufs Papier. Das Wehklagen erstreckte sich auf den Fotosatz, der mehr Arbeit bedeutete, aber glücklicherweise „nur“ die Existenz der Kollegen in den technischen Abteilungen gefährdete. Freie Autoren verkauften Geschichten noch mehrfach exklusiv. Die Zeitungsverlage waren noch unterschiedlich groß, in der Regel unabhängig und zahlreich auf dem Markt vertreten. Das Anzeigengeschäft florierte und die Welt war schön. Elektronische Medien lieferten ebenfalls noch Handarbeit ab, auch wenn Vorboten wie MAZ und CD die Sender bereits erreicht hatten. Die private Konkurrenz war noch im Wachsen, die Kassen durch Werbespots gut gefüllt.

Heute gibt es immer weniger unabhängige Redaktionen, Verlagskonzerne steuern ihren Content aus einer Zentralredaktion heraus, bieten für die vielen Zeitungstitel nur noch eine Anlaufadresse. Dort wird der Inhalt verwaltet und digital an die jeweiligen Druckereien verteilt. Mehrfache Absatzchancen und Einnahmen für freie Autoren sind Fehlanzeige. Das Anzeigengeschäft läuft nicht mehr vollautomatisch, die leichtfertig kostenfrei angebotenen Internetausgaben lassen sich nur schwer in ein Bezahlmodell verwandeln. Zudem geht die Zahl an Abonnenten bei Zeitungen und Zeitschriften stetig zurück.

Bei Hörfunk und Fernsehen wird das Geld knapp, zu sehr ist die Konkurrenz gewachsen, die man mit Programmausweitungen und einem zusätzlichen Internetangebot versuchte in Schach zu halten. Dass den Sendern durch das Internetstreaming Hörer und Zuschauer abhandenkommen hat vor 25 Jahren niemand gedacht. Überall in den Medien gilt heute das mörderische Prinzip: „Mit weniger mehr erreichen.“

Digitale Einsteiger

Kein Vergleich zu früher lässt sich bei all den Publikationen ziehen, die durch die Digitalisierung und Vernetzung erst entstanden sind. Das Berufsbild des Bloggers ist gerade einmal zehn Jahre alt. Weblogs starteten Mitte der neunziger Jahre, bei uns mit der Begrifflichkeit „Online-Tagebuch“. Hurra, endlich konnte nicht nur Jeder schreiben, fotografieren, reden oder filmen, sondern die Ergebnisse auch für kleinstes Geld veröffentlichen. „Online-Tagebuch“ klingt nach Hobby. Die Blogs, die in diesen zehn Jahren entstanden sind, haben sich zu großen Teilen des Amateurstatus entledigt. Damit entstand nicht vollautomatisch ein neuer journalistischer Beruf. Viele Blogger sehen sich nicht als Journalisten, gleichwohl publizieren sie Inhalte. Diese wiederum sind erfolgreich, werden gelesen, gehört, angeschaut. Ob sie auch journalistische Standards erfüllen, interessiert die Konsumenten herzlich wenig. Im Internet „darf eben jeder“, völlig egal, ob das tradierten Publizisten gefällt oder nicht.

Digitale Entwicklung

Wir haben in den letzten 25 Jahren mehr als deutlich erfahren, dass die Zeit nicht stehen bleibt, sich Technik ändert und damit auch Kommunikation. Wer hätte gedacht, dass man heute nicht nur an fast jedem Punkt der Erde telefonisch erreichbar ist! Nein, man kann auch elektronisch Post erledigen, Bildkonferenzen durchführen, Filme mit dem Smartphone drehen, schneiden und sofort veröffentlichen. Jede Befindlichkeit ist jederzeit und überall in sozialen Netzwerken publizierbar. Bloggern ist das nicht nur bewusst, es ist ihr Geschäftsmodell. Schnell hinfahren, schnell umsehen, schnell etwas ins Netz stellen. Für den zweiten Blick bleibt oft keine Zeit. Dadurch verwischen Bilder und Eindrücke. Journalisten recherchieren vor Ort, die Meisten machen inzwischen digitale Bilder.

Einige nutzen ebenfalls Facebook, Instagram, Twitter; im Übrigen um genau die gleiche subjektive Befindlichkeit mitzuteilen. Offensichtlich genügt das dem durchaus interessierten Publikum, denn der Zustrom zum teilweise sehr viel später produzierten Bericht hält sich immer öfter in Grenzen.  Wollen Journalisten etwas verkaufen, was Niemanden mehr interessiert oder ist etwas falsch bei der Produktion der Inhalte? Trifft langer oder gar komplizierter Inhalt, den Zeitgeist des Konsumenten nicht mehr? Wer die niederschmetternden Ergebnisse der Medienforschung zum Thema Zeitungen und Reiseteil kennt, wird konstatieren müssen, dass zumindest ein Teil der Reisejournalistenkrise hausgemacht ist. Wenn nur noch sechs Prozent aller Leser, einen Reiseteil aufschlagen und davon sich weitere 20 Prozent nach den ersten Zeilen verabschieden, dann schreiben wir offensichtlich an prinzipiell interessierten Lesern vorbei. Da ist Umdenken und Flexibilität genauso gefragt, wie eine Markt- und Interessensanalyse.

Die Welt wird kleiner

Die Welt ist aufgrund der digitalen Entwicklung noch etwas kleiner geworden, das Informationsangebot aber sehr viel größer. Die Tatsache 10.000 Kilometer geflogen zu sein, um an einem besonders hübschen Strand zu sitzen und dessen Flora zu beschreiben ist uninteressant, wenn ich mir über Google’s „YouTube“ diesen Strand innerhalb von wenigen Sekunden auf den Bildschirm holen kann. Die „Ego-zentrierte“ Sichtweise eines Bloggers wiederum kommt beim jüngeren Publikum gut an. Ein echtes Erlebnis, belegt durch Text, Fotos und Videoclips, kommt authentisch rüber. Da mag man schon fast verzeihen, dass man vor den Strandbildern, die mitgebrachte Bikinikollektion anschauen muss, samt Produktnamen. Von irgendwas muss die Bloggerin ja schließlich auch leben.

Eine Blogkollegin, die vermeintlich schon überall war, und den Strand mit dem Geschäftsführer eines Tourismusmultis abläuft, um sich nach seinem nächsten Urlaubsziel zu erkundigen, erfüllt ebenfalls keine journalistischen Kriterien. Sie ist aber wohl gelitten in der Kommunikationszentrale des Multis, weil sie Firmennamen, Luxus und Lifestyle miteinander verknüpft. Journalisten reden hier von Werbung, Touristiker von „Influencern“. – „Miss X unterwegs“ hat keine journalistische Mission. Sie wird dafür bezahlt ein gutes Gefühl zu erzeugen und dies mit dem Produkt zu verknüpfen. Marketingfachleute klatschen begeistert in die Hände, denn das ist legal, legitim, aber natürlich nicht journalistisch.

Digitale Conclusio für analoge Journalisten

Das digitale Angebot ist Bestandteil unseres immer digitaler werdenden Lebens. Es ist ein Illusionist, wer glaubt, das Rad, als „Häuflein der letzten Aufrechten“ zurückdrehen zu können. Die Zeit schreit nach einer neuen Schreibe, nach Texten, die nicht hinlänglich Bekanntes wiedergeben, sondern spannende Geschichten erzählen. An der multimedialen Umsetzung werden sie künftig nicht vorbei kommen. Das „Ich“ ist erlaubt, die Hauptakteure werden Menschen sein, die vor Ort leben, arbeiten und sich auch um Touristen kümmern dürfen. Die Geschichte von Menschen mit einem Ziel zu vernetzen bringt Nähe, Information, Emotion und gerne auch Unterhaltendes.

Kritik ist dabei nie ausgeschlossen. Journalisten beschreiben, ordnen ein, machen verständlich. Das ist der Mehrwert gegenüber vielen Darstellungsformen im Netz. Ja, es gibt aber auch seriöse Blogger. Sie machen uns das vor, meistens erfolgreich. Zeitungen, Radio und Fernsehen könnten ebenfalls so vorgehen. Voraussetzung: Die Verantwortlichen wollen das. Solange Reiseteile sterben, weil das Anzeigenumfeld nicht mehr gewährleistet ist, haben Verleger etwas falsch verstanden.

Wie dabei Journalisten ihren Lebensunterhalt sichern ist damit noch nicht beantwortet. Vielleicht gibt es in Zukunft neue Berufsbilder, die inhaltliche wie materielle Zuflucht bieten. Vielleicht hilft Kollegensolidarität und Zusammenarbeit in größeren Einheiten für die Online-Publikation. Eventuell stirbt auch ein Beruf, aber noch ist es nicht zu spät. Nur wer nicht kämpft, hat schon verloren.

 

 

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