Die Katastrophe und der Nachrichten-Hype

Rüdiger Edelmann

Die Tragik des Germanwings-Absturzes ist unbestritten. Und natürlich stellen auch wir Fachjournalisten – gerade wir, für die Mobilität ein Kernthema unserer Arbeit ist – uns nach so einem Ereignis viele Fragen. Und natürlich gibt es das Bedürfnis, besonders, wenn wir in den schnelllebigen elektronischen Medien arbeiten, darüber zu berichten.

Aber umstritten ist seit gestern einmal mehr, wie man Katastrophen medial verarbeitet.

Da kommt die erste Meldung des Absturzes der Germanwings-Maschine und Alle, wirklich Alle, machen sich auf, um darüber zu berichten. Teams und Reporter werden losgejagt, Sondersendungen geplant, Experten gesucht. Das erscheint zunächst einmal völlig legitim. – Das „Dumme“ an der Angelegenheit ist aber, wieder einmal, dass sich alle sofort auf die Suche nach der Absturzursache machten. Man muss nicht einmal Luftfahrtexperte sein, um zu ahnen, dass dies unmöglich sein wird; dass es so lange unmöglich sein wird, bis Flugschreiber- und Voicerecorder-Auswertungen vorliegen. Trotzdem berichtet man weiter!

Man berichtet zunächst, dass ein Flugzeug aus bisher unbekannter Ursache abgestürzt ist. Damit lässt sich aber leider keine Sondersendung füllen. Also sucht man Experten und stellt ihnen Fragen. Die Experten sagen, man wisse noch nicht woran es läge. Das wiederum ist eine zu kurze Antwort, also beginnt man darüber zu reden, woran es gelegen haben könnte.

Tragik des Germanwings-Absturzes

Reporter und Moderatoren, die nachweislich von Luftfahrt keine Ahnung haben, beginnen zu spekulieren und begeben sich damit auf schwieriges Terrain. Ich habe gestern sicher etwa zehn Mal die Frage gehört, ob ein Flugzeug im Alter von 24 Jahren hätte ausgemustert werden müssen. Ich habe vielfach die Erfolgsstory des A 320 hören müssen, die Spekulationen über das Eigenleben von Computern an Bord und die Schwierigkeit damit umzugehen. Ich musste mir etwa ein halbes Dutzend Mal, die schrecklichsten Abstürze der letzten 10 Jahre anschauen und ich wurde, fast überall, mit selbsternannten Luftfahrtexperten konfrontiert, die viel spekulierten, aber nichts sagten, sagen konnten. Denn, es gab nichts zu sagen.

Wie „froh“ ist man dann, als endlich die menschlichen Katastrophen durchsickerten. Eine halbe Schulklasse abgestürzt? Prima, jetzt Alle nach Haltern am See, denn das menschliche Schicksal wurde greifbar. Leider sind auch hier wieder alle elektronischen Medien, auch die „Abteilung öffentlich-rechtlich“ voll dabei. Und auch nachdem die Frage, des Flugzeugalters, hinreichend beantwortet war, wird sie, routinehaft, immer wieder gestellt. Das ist nicht nur ignorant, sondern auch journalistisch unethisch.

Die Maschinerie der Berichterstattung

Die Maschinerie der Berichterstattung war angelaufen und sie lief und lief, unbeirrt der nicht vorhandenen Fakten, immer weiter. Es gab nur wenige Stellen, wo eine Berichterstattung erforderlich war, die Pressekonferenzen von Lufthansa und Germanwings gehörten dazu. Ansonsten wurde spekuliert, gestochert, in Details gewühlt, die nicht an die Öffentlichkeit gehören.

Was nützt Einem die „Kamera-Armada“ in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen? Nichts, aber Alle haben hingeschaut, sind es doch Bilder, die Trauer umsetzen, Trauer, die ansonsten nicht in Töne oder Bilder zu fassen sind und auf Kosten von betroffenen Menschen gedreht werden.

Das Radioprogramm „hr-info“ erntet einen Shitstorm, weil dort die Frage nach dem Stand der Lufthansa-Aktie in der Börsenberichterstattung gestellt wurde. Wer hat sich darüber beklagt, dass Heerscharen in Haltern einfielen, Angehörige am Flughafen Düsseldorf abgefilmt wurden und permanent Bilder von ratlosen Menschen am Flughafen in Barcelona gezeigt wurden?

Dann die ersten Bilder von der Absturzstelle – Endlich! Ist es ein besonderer Kick, eine beim Absturz fast pulverisierte Maschine zu zeigen?

Unbestritten: die Katastrophe ist schrecklich, die menschlichen Schicksale berührend, aber sitzen wir Alle nicht immer wieder dem Irrtum auf, dass quantitative Berichterstattung wichtiger ist als qualitative?

Wer ist Experte und was darf ein Experte?

Ja, zwei wirkliche Experten habe ich gehört. Andreas Spaeth, der im Lauf des Tages zu immer mehr Spekulationen gedrängt wurde und Jens Flottau, der dies verweigerte. Und zwischendrin immer wieder Experten, die keine sind.

Da stellt sich, wie beim Reisejournalismus, die Frage, wer ist Experte und was darf ein seriöser Experte in einer solchen Situation sagen? Und es stellt sich die Frage, ob man besser erst wasserdicht recherchiert und dann redet, oder ob es besser, sprich mediengeeigneter ist, erst zu spekulieren und dann auf die Recherche zu warten.

Dies ist dann sogar keine Frage mehr von seriösem Luftfahrtjournalismus, sondern eine der journalistischen Ethik!

(Nachdenkenswertes dazu übrigens auch vom Bloggger Sven Hennig…)

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