Wenn das Leben Zitronen reicht, dann freu Dich und widme Dich dem Limoncello. Auch ein poetischer Text kann in schwierigen Zeiten die Stimmung aufhellen. Poesie aus, um und über Sorrent, Amalfi und den Limoncello
von Uwe Krist
Sorrent & Amalfi
Die Rede ist hier schnell von Menschen und Leuten und gar von Hunden und Katzen. Das geht völlig in Ordnung und hätte – allerdings sehr auf Kosten der Lesefreude – auch noch ausführlicher stattfinden können (darum ja die Fußnoten). Dass diese Angesprochenen einen so großen Raum bekommen haben, mag an einem ausgeprägten Manko Sorrents liegen: Was sonst ist eigentlich in dieser Stadt so wichtig, herausragend, begehrens- oder sehenswert, dass man überhaupt in die Stadt an der Steilküste der Halbinsel reist? Eben!
Es sind keine sprudelnden, eventuell sogar allegorischen Brunnen wie in Rom, kein berühmtes Schloss wie in Caserta, in dem man Geschichte oder zumindest Geschichtchen wiederfindet. Keine Katakomben, trotz urrömischer Historie keine römischen Thermen oder zumindest abgelederte antike Ruinen, kein umzäunter, Eintritt heischender Opferplatz aus dem Neolithikum. Keine Drahtseilbahn nach oben wie ärgerlicherweise nur wenige Kilometer vor Sorrent von Castellamare Di Stabia auf den Monte Falto, was sich hier – wenn sie denn überhaupt (was in Castellamare Di Stabia jahrelang ein Problem war) funktionierte – schon wegen des Mangels an einem Gipfel ringsum nicht lohnen würde.
Ich selbst wohne schon in der Höhe oberhalb von Sorrent rund 500 Meter hoch, kurz vor dem Scheitel des Rückens der Halbinsel. Mit dem Bus bin ich ruckzuck in Amalfi an der gegenüber liegenden Küste. Das zum Therma Seilbahn.
In Sorrent gibt es auch keine welch auch immer farbigen Grotten, in die sich Armaden pickepackevoller Ruderboote im Sekundentakt drängeln wie in das blaue Paradeloch von Capri (das übrigens – so hörte ich einmal unbewiesen, eben nur die zweite Auflage sei; vorher habe es eine später aber eingestürzte schwarze Höhle als Anziehungspunkt gegeben. Eine schwarze! Man muss sich nur einmal den Nutzwert für Handy-Klickeure ausmalen. Für verwertbare Erkenntnisse darüber bin ich dankbar). Aber über das Ausflugsziel Capri später mehr.
Sorrent hat keine Höhlenkirche in den Tuffstein geschabt wie bei Pizzo in Kalabrien und – außer den Patronatsfesten mit großen Prozessionen und Blitz-und-Donner-Feuerwerk, zum Fest der Santa Anna im Juli sogar auf dem Wasser – leider keine jährlich aufführbare Geschichte mit irgendwelchen Pferden wie beim Palio in Siena; die einzigen drei Pferde gehören ja zu den drei Touristen-Einspänner mit Standplatz „Tasso„. Alles, alles so etwas nicht.
Aber vieles, vieles andere. Sanfter als eine Historien-Fanfare, süßer als das Gemisch aus Weihrauch und Böllerdampf. Sprudelnder als jeder Brunnen. Begehrenswerter als alle „Musts“ gemäß dem kategorischen Imperativ des Reisens, dem ich aber hier beim Schreiben nicht selber verfallen will (19).
Hier dagegen sind andere Schätze zu heben: weniger Verkehr außer auf den Hauptadern der Stadt. Bessere Luft (wussten Sie, dass die schlechte Luft – „mal‘ aria“ – schon im 18. Jahrhundert vom Arzt Francesco Tori als üble Krankheitserregerin – „Malaria“ in den mückenverseuchten Sümpfen erkannt worden war?).
Einmalig die Lage über der tuffigen Steilküste. Dieser Blick! Dieses Meer, die weißen Fähren, Kreuzfahrer, schicken Privatrenner, die die in der Hitze geronnen zu scheinende quecksilbrige Wasseroberfläche narben.
Und vor allem diese herrliche Hastlosigkeit. Dieses Leben voller Leichtigkeit, voller „brio“. Ein Geschenk. Sanft weht die Brise vom Meer herauf durch die schattigen Gassen von Sorrents Altstadt. Fächelt um die ausatmenden Limonen- und Ledersandalen-Ständer, huscht ein paar Papierfetzen vor den fünf Treppenstufen der Kirche der „Addolorata“, der „Schmerzensreichen“, in der schmalen Via San Cesareo auf und lässt sie faul und schlaff nur einen Meter weiter wieder fallen.
Der Nase nach
Mit der Brise – immer der Nase nach – haucht sich eine kleine Gratisprobe von feinem Meersalz, heißem Sommerstaub und schweren Blumendüften aus einem der von einer dicken Mauer umschlossenen, geheimnisvollen Gärten nahebei an der Via Sopra le Mura, das ist die, die sich zur Steilküste über dem Meer drängelt, in die Nase.
Erzählerisch wirkt ein in eine andere Mauer schmucklos eingelassenes Schild „Caruso„. Nur so. Eine stumme Mitgift für den glücklichen Tenor? Nur eine gerademal ein Küchenbrett breite Buchstabenreihe. Nicht mehr, aber – vielleicht – vielsagender, geliebter, nachtrauernder, sehnender als alle Al-Fresko-Inschriften Herculaneums, Pompejis inklusive der Mysterien-Villa und der Villa Oblontis von Neros Gattin Poppea.
Etwas weiter erklingt eine kleine Glocke, als traue sie sich gar nicht, nachdrücklich ans Nachmittagsgebet zu erinnern. Im Zögern liegt aber keine Trägheit und auch keine kleine Müdigkeit. Es ist nur ein wenig scheue Jugend, die sich das Lärmen noch nicht traut.
Ruhig ist es am heißen Nachmittag im Kreuzgang des ehemaligen Klosters San Francesco. Um diese Stunde sonnen sich nur die kleinen, grauen Eidechsen auf den jahrhundertealten steinernen Bodenplatten. Im Bogengang zeichnen die Schatten wie mit dem Lineal gezogene, scharfkantige dunkle Flächen in den Prospekt des Kreuzganges. Und es ist kein Widerspruch, wenn sich immer mal wieder in diesem Hof der Ruhe Paare aus aller Welt in einer kleinen Zeremonie einem echten Standesbeamten ihre offiziellen Ja-Worte zuflüstern.
Alle Viertelstunde schlägt die Glocke im Turm, der aus einer der Ecken des Gevierts wächst. Doch sie weckt die Ruhe nicht, die hier tatsächlich ist, sie fördert sie nur. Kein atemloses Anhalten der Geschäftigkeit, keine unfreiwillige Ohnmacht. Eher eine Pause mit der süßen Ahnung von einem ersehnten Ausgeliefertsein an diesen herrlichen, endlich bewegungslosen Moment. Die Welt ruht ein wenig – sie macht „pennicchella“ (was in Italien gern auch als „pisolino“ oder „sonnelino“ gekost wird), ein Nickerchen.
Das tun auch manche Geschäftsinhaber und Ladenbesitzerinnen, die nicht teilhaben am unmittelbaren Touristengeschäft. Sackleinen, Plastiktuch oder Bettlaken sind lose über die Auslagen gehängt, nichts ist weggeräumt, die Türen aber sind geschlossen. Und die Limonen versenden ihren unnachahmlichen Atem, eine süßsaure Verführung, ein einmaliges Etwas, das sich auf die Lippen legt und in die Nase stiehlt. Limonen!
Sfusato amalfitano
Nicht solche sogenannten Zitronen, die uns daheim in Deutschland erreichen, solche lächerlichen. gespritzten, kleinen, kaum ihren Namen werten Zitrus-Krüppel. Kein hehrer Gedanke hätte sich um diese sauren Kümmerlinge gerankt, kein Mensch hätte sich für die Fake-Produkte aufgemacht in Mignons „Land wo die Zitronen blühen“ (aber eben nicht diese), um ihre offensichtlich freudlose Heimat zu ergründen.
Diese hier sind bis zu dreimal größer, wahre Prachtexemplare. Herrlich duftend, sattgelb und größer als eine kräftige Männerfaust. „Unsere besten Werbeartikel, unser Markenzeichen,“ erklärt mir Davide, den ich getroffen hatte. Davide ist ein kluger Mann und arbeitet als Dozent für Volkswirtschaften an der Hochschule in Neapel. Er wiegt die mächtige Frucht in der Hand und drückt sie ein ganz klein wenig zusammen, dann legt er sie wieder sanft und wie zärtlich zurück in die Auslage.
„Unsere Spezialität. Sfusato amalfitano, die Amalfi-Zitrone. Sie hat weniger Fruchtfleisch und Saft, ist aber für ihre Schale berühmt. Denn aus der stellen wir hier unseren Limoncello her.“ Dabei sprach er das Wort „Sfusato“ aus wie eine gehauchte Überschrift aus dem Poesiealbum der Natur. “Sfusato“ – das heißt auf Deutsch wörtlich übersetzt „sperrig“, „ungeschärft.“ Aber so passt es nicht. Es ist ein ganz eigener Stein aus dem linguistischen Steinbruch des Landes.
Limoncello
Im Anfang war mir nie klar gewesen, was die Leute an diesem Limoncello finden Ich hatte ihn erstmals ausgerechnet in Deutschland getrunken, von Freunden eingeschenkt aus langhalsigen Flaschen. Eine gelbtrübe Flüssigkeit, die einfach nur nach Urinalstein einer Neuköllner Bahnhofstoilette (so denke ich mir das, rein theoretisch) schmeckte.
Hergestellt wird das Getränk nur aus den dicken, gelben Schalen, die wochenlang in fast hundertprozentigem Alkohol eingelegt warten, bis sie herausgefischt werden und dann der aromatisierte Sprit mit aufgekochtem Zuckerwasser vermählt wird. Noch mal etwas warten, runterkühlen. Dann den gelben Stoff eiskalt runterkippen wie Aquavit. Oder genüsslich schlürfen. In Italien ist das eine Köstlichkeit. Und sie überzeugte mich schließlich. Denn: kein Urinalsteingeschmack mehr. Dafür auch in Berlin eine Verheißung italischer Lebenslust, die vom Kopf bis in die Füße dieselt und noch die Zehen wärmt.
Diese Überzeugungsarbeit leisten auch die Alk-Kuppler in den kleinen Gassen wie die Strada Fuore, die sich zur Via San Cesareo verlängert. Da sind die willfährigen Opfer: Dutzende von – bestenfalls – karierten Kniehosen-Touris und zu engen Leggins-Begleiterinnen (ja, ich weiß um meine Pauschalierungen und Klischee-Verwurstung, aber, Himmel, es ist nun mal so!), mit Vorliebe Publikum großer Kreuzfahrtschiffe draußen auf Reede, die sich zum Shoppinglandgang in die Tenderboote pressen und für einige Stunden bis zur abendlichen Abreise an Land spülen lassen). Sie alle auf einmal werden draußen von einem Koberer wie auf der Reeperbahn marktschreierisch angemacht und in einen kühlen Laden gezwängt, als gäbe es dort drinnen so gut wie alles umsonst.
Nix da, alles ist kühles Kalkül: Dort können die beduselten Kunden, umgeben von hunderten von verschieden großen gefüllten Limoncello-Flaschen, hinter einer Glasscheibe schlicht sehen, wie der Stoff produziert wird.
„Only for you! I can put your name on the bottle.“
Sie merken dabei kaum, wie oft sie die eiskalten kleinen Probe-Plastikbecher inzwischen geleert haben. Am Ende wird gekauft, als gäbe es nie wieder ein Morgen. – Gibt es aber doch. Leider zu spät. Beschwerden wegen Übelkeit, Kopfschmerzen oder Preistreiberei bleiben ungehört – längst ist der Pott ja wieder unterwegs Richtung Sardinien, Genua oder Palermo.
Davides Augen glänzen wie polierte Onyx-Pflaumen nebenan im Souvenirshop. Er zeigt auf Gebilde so groß wie Kinderbälle oder gute Kürbisse. „Das sind die Cedri. Auch eine Zitronenart. Die kann man eigentlich ganz gut essen. Oder auch was draus machen – den Cedrocello, ähnlich dem Limoncello“ (20).
Die sauren Agrumen der Amalfitana sind mittlerweile gar als Weltagrarkulturerbe gelistet und geadelt. Da macht sauer doch endlich auch mal wieder lustig.
Davide muss weiter. Es ist kurz vor fünf. Gleich macht der Laden wieder auf.
Ferner am Ende der ultimativen maritimen Projektionsfläche schwebt ein schneeweißer Kreuzfahrer zwischen Raum und Zeit, da, wo der Horizont in die Watte des immer noch heißen Nachmittagsdunstes einfließt und der amphibischen Bühne etwas Surreales verleiht.
Nein, es ist wohl doch keine dicke Zitrone, die in halber Entfernung in den Wellen schaukelt. Es ist wohl nur ein zitronengelbes Fischerboot, vom Schwall des Kreuzfahrers in Wallung geraten. Salute, Sfusato!
Fußnoten
…als Party-Wissen für Saputelli*e (vulgo: „Klugscheißer*innen“), also eigentlich unwichtige aber uneigentlich vielleicht doch ganz nette Ergänzung.
(19) Ratschläge, die ratlos machen: „Wenn Sie schon mal in Rom sind, sollten Sie auf keinen Fall vergessen, das Forum zu besuchen, das Kolosseum, die Caracalla-Thermen, Hadrians- und Trajanssäule, den Petersdom, Sixtinische Kapelle, Pantheon und alle sieben Hügel, aber besonders den Palatin, dann den Tiber, Trevibrunnen, Piazza Navona, Forum, Spanische Treppe, das Kapitol, die Engelsburg…“ – bis einem alle Abwehrreflexe schwinden.
Viel wertvoller wären doch Tipps der praktischen und übertragbaren Art wie: Wo kann man wirklich gute maßgeschneiderte Schuhe kaufen, die (rein geschäftlich unsinnig, aber ungeheuer exklusiv und super fürs Image) hundert Jahre halten und die keiner sonst hat, weil hier die hölzernen Leisten von Hunderten von Einzelkunden lagern (auch für Nachbestellungen, sofern bis dahin die Füße nicht verwachsen sind). Flüsternd würde das – auch in Sorrent, wo man en gros nur Sandalen ausstanzt – weitergegeben:
„In der Via Ovunque nahe Piazza Navona (oder Tasso, Santa Anna, Francesca, Maria pp.) das erste Haus links neben der Apotheke, ohne Schild, Tür aufdrücken, Lichtschalter rechts, Treppe erster Stock, wieder rechts bei Alfonso Da Lucca klingeln. Das ist er!“ Wenn’s denn nur so wäre.
(20) Wenn es um Wirtschaftlichkeit geht, hatte Italien ohnehin bisher mit Zitronen gehandelt. Seit Jahrzehnten geht es mit diesen in Italien schwer bergab. Längst haben Länder wie Brasilien, die USA, Nordafrika oder Spanien die Marktführerschaft übernommen. Sie können billiger produzieren, leichter per Hightech ernten – alles, was an den Steilküsten der Amalfitana nicht möglich ist.
Spät hat man hier erkannt, dass auch eine strukturelle Zersplitterung und allzu viel Eigenbrötlerei die Krise mitverschuldet haben. Doch man kann nicht aus dem Vollen schöpfen: Die Amalfitana liefert nicht mehr als zehn Prozent der Ernte Italiens und der ganze Stiefel selbst gerade einmal fünf Prozent der Welternte.
So langsam bessert es sich durch mittlerweile vier Ernten im Jahr, dank absoluter Produktpflege, korrigiertem Marketing und neuen, erfolgreichen Vertriebswegen. Und es gibt nun einen totalen Herkunftsschutz für die Amalfi-Zitronen.
Uwe Krist liebt Italien und verbringt im Sommer gerne auch mal zehn Wochen in Sorrent und Amalfi. Die Zwangspause inspirierte ihn zu besonderen italienischen Momenten. Dies ist ein Kapitel aus „Margherita und die Liebe zum Damenbart. Sorrentiner Sommerspitzen mit Fußnoten“.
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