Liebe zur Ferne – wie arbeiten Reisejournalisten?

André Rieger

Darüber, wie Reisejournalisten in ihrem beruflichen Alltag handeln und denken, ist wenig bekannt. Die Magisterarbeite „Aus Liebe zur Ferne – Die Reisejournalisten der VDRJ“ von André Rieger (Universität Mainz) hat sich das Ziel gesetzt, diese Situation zu verbessern. Für die Arbeit hat Rieger 127 Reisejournalisten angeschrieben. 41 haben alle Fragen beantwortet. Die Onlinebefragung zu Merkmalen, Arbeitsweise und Einstellungen der Mitglieder der VDRJ unter Berücksichtigung wesentlicher Einflüsse auf das fachjournalistische Ressort Reise und Tourismus nutzte hierzu das Expertenwissen der Mitglieder des VDRJ-Journalistenkreises, die zu Facetten ihres Berufes befragt wurden.

Die Deutschen sind krank. Die Diagnose heißt Fernweh. Bevölkerungsumfragen zeigen: Nicht etwa Autos oder Smartphones ziehen hierzulande das größte Interesse auf sich, sondern das Reisen. Wenig verwunderlich also die mediale Aufmerksamkeit für das Thema. In sämtlichen Medien entführen Berichte über die Ferne in fremde Länder und bieten Reiseideen. Sie gestalten dabei immer auch das Weltbild ihres Publikums mit. Denn, wie man über Länder und Völker denkt, hängt auch davon ab, wie diese in den Medien präsentiert werden. So allgegenwärtig das Medienthema „Reise“, so anonym sind jene, die dieses produzieren und damit auch die Entscheidungen beein ussen. Wer also sind diese Reisejournalisten, die so gerne das Fernweh schüren?

Befragung im VDRJ-Journalistenkreis

Die Befragung im VDRJ-Journalistenkreis ergab Erstaunliches: Nur ein geringer Teil der Mitglieder ist seit Beginn des Berufslebens im Reisejournalismus aktiv. Der Großteil entdeckte erst in späteren Karrierephasen die Möglichkeit, das Fernweh mit der Freude an journalistischer Arbeit zu verbinden. Dazu kehrte man anderen Ressorts oder einer gänzlich anderen Branche den Rücken und widmete sich fortan hauptberuflich der Reiseberichterstattung. War zu diesem Zeitpunkt meist bereits journalistische Erfahrung bzw. eine journalistische Ausbildung vorhanden, in der Regel aber kein institutionalisiert vermitteltes touristisches Know-how, war es die Freude am Thema „Reise“, die dazu motivierte, sich dieses auf eigene Faust„on the job“ anzueignen.

Eine solche Passion prägt auch den Arbeitsalltag. Die Befragten finden Inspiration für Themen nicht vorrangig am heimischen Schreibtisch – durch bequeme Informationsdienste, Online-Recherche oder die mitunter von Marketingabsichten geprägten Anregungen von Tourismusunternehmen. Die Themen werden vor allem „draußen“, in der Ferne selbst, aufgespürt. Die dazu nötigen Reisen nanzieren die Be- fragten oft selbst. Auch private Urlaubs- reisen nutzen sie, um Erzählenswertes aus ndig zu machen.

Aufwändige Recherche nötig

Für besonders berichtenswert halten sie Themen, die nützlich für das Publikum sind. Dabei muss ein Ort keinesfalls fremdartig und unerreichbar sein, um das Interesse der Journalisten auf sich zu ziehen: Die Präsentation von Orten geringerer Exotik oder gar touristischen Hot Spots wird tendenziell als wichtiger bewertet als die Vorstellung möglichst ausgefallener Destinationen. Lieber möchte man vermeintlich gut bekannte Orte aus neuen Perspektiven zeigen und die Augen für das Unbekannte im Bekannten öffnen. Informationen werden laut Befragung primär aus Quellen gewonnen, die viel Eigeninitiative fordern. Am liebsten sucht man das persönliche Gespräch mit Einheimischen vor Ort. Quellen, von denen die Gefahr interessengeleiteter Einflussnahmen auf die Berichterstattung ausgehen könnte, behandeln die Befragten laut eigenen Aussagen mit gesundem Argwohn. So werde Informationsmaterial von touristischen Unternehmen dann und wann durchaus genutzt, ersetze jedoch nicht die Recherche.

Pressereisen werden kritisch gesehen

Was die mitunter verlockenden Pressereisen touristischer Anbieter angeht, nehmen die Befragten Einladungen hierzu nur gelegentlich und nach kritischer Abwägung an. Auch den eigenen Einfluss auf Reisepläne und das Weltbild des Publikums sehen die meisten realistisch. Nicht die Unterhaltung stünde im Vordergrund der Berichterstattung, sondern eine wirklichkeitsnahe Abbildung der Welt.

Dabei legen die Befragten Wert darauf, nicht Klischees weiterzutragen, sondern die unverfälschte Realität der Reiseländer – auch auf die Gefahr hin, die Erwartungen der Leser, Hörer oder Zuschauer zu enttäuschen. Das Hauptaugenmerk in der Berichterstattung bleibe auf der Information. Und diese Informationsfunktion des eigenen Ressorts werde in Folge der aktuell stetig steigenden Informations ut noch an Bedeutung gewinnen. Damit distanzieren sich die Befragten von Einschätzungen, die Reisejournalisten künftig ausschließlich als Geschichtenerzähler sehen, die Startbahnen zu mentalen Reisen bieten.

Negative Berufsaspekte

Bei allem Optimismus verschließen die Reisejournalisten aber auch nicht die Augen vor negativen Aspekten des Berufes. Die finanziell begrenzten Möglichkeiten der Tätigkeit und Vorwürfe, man sei der verlängerte Arm der Reiseindustrie, dämpfen die Stimmung: Viele hadern mit der Bezahlung und antworten auf Fragen nach der Beliebtheit bei Publikum und Kollegen eher zurückhaltend. Und dennoch: Hätten sie die Gelegenheit, erneut einen Beruf zu wählen, würden sich die meisten wieder für die Berichterstattung über die Reisewelt entscheiden.

Fazit: Eines ist bedeutender als mehr Geld oder ein glänzendes Image. Es ist das, was die Befragten einst aus anderen Ressorts oder Berufen in den Reisejournalismus lockte. Das, was dazu motivierte, sich selbstständig in die Komplexität des Themas Reise einzuarbeiten und im Dienst journalistischer Ethik und Faktentreue auf teils reizvolle Verlockungen der Tourismusbranche zu verzichten. Es ist jener gemeinsame Nenner, der für das berufliche Denken und Handeln der VDRJ steht:

Die Freude am objektiven Journalismus und die Chance, diese mit der Liebe zur Ferne zu verbinden.

André Rieger

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