Wenn die Reisejournalistin daheim festsitzt: in 50 (Millionen) Schritten zum Hamburg-Reiseführer

Bernadette Olderdissen - Hamburg (Foto:privat)
Bernadette Olderdissen - Hamburg (Foto:privat)

Der Reiseführer „Hamburg – 50 Mikroabenteuer zum Entdecken und Genießen“, der am 30. April in der neuen Reihe „Heimat Momente“ bei den 360° Medien erschien, inspiriert zu 50 ganz kleinen oder etwas größeren Abenteuern in und um die Hansestadt.

von Bernadette Olderdissen

Von der Reeperbahn hat wohl jeder schon einmal gehört, von der Elbphilharmonie und dem Hamburger Hafen auch. Doch was ist mit Hamburgs Müllberg, dem Polizeimuseum oder der Fischbeker Heide? Der neue Hamburg-Reiseführer berichtet vor allem von Attraktionen und Aktivitäten, die klassische To-do-Listen nicht führen. Leser erfahren, welches Café auf „Zero waste“ setzt, wo es auf die Schnelle den besten Fisch gibt und wo ein exklusives Dinner für zwei in einem der kleinsten Restaurants der Welt. Sie erkunden zwischen den Seiten ein Stück Alsterwanderweg, paddeln durch die Kanäle, träumen von einer Nacht im Hafenkran-Hotel oder auf einem Hausboot. Doch es geht auch auf Entdeckungstour in Hamburgs Geschichte und Kultur, sei es im KZ Neuengamme, im bäuerlichen Freilichtmuseum Rieck Haus oder in der Wasserkunst Kaltehofe.

Hamburg-Reiseführer – meine Limonade während der Pandemie

Wie ein Sprichwort so schön sagt, sollte man aus den Zitronen, die einem das Leben gibt, Limonade machen. Nun, ich kann sagen, dass ich dank Corona beruflich gesehen (schwerpunktmäßig Reisejournalistin und bis Anfang 2020 ständig nah und fern unterwegs) wie so viele auf einem Haufen Zitronen saß, als die E-Mail mein Postfach erreichte: eine Mail vom Verleger der 360° Medien, bei dem ich einmal eine Australien-Reportage untergebracht hatte, dass der Verlag eine Reihe namens „Heimat Momente“ über Städte und Regionen in Deutschland plane. Ich schlug sofort mehrere Themen vor, darunter Hamburg, meine geliebte Wahlheimat seit 2016.

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns und Zeiten, wo man kaum über die Grenzen Hamburgs hinausreisen durfte, hatte ich begonnen, die City so intensiv wie nie zuvor zu Fuß und per Fahrrad zu erkunden. Der Gedanke, einige meiner Entdeckungen in Form eines Buches zu teilen, begeisterte mich. Es dauerte nicht lange, bis der Verlagsvertrag eintrudelte. Das Zitronenpressen begann, doch der Auftrag der 360° Medien sollte nicht alles sein: Ein paar Wochen später wollte es der Zufall, dass ich mit dem Verleger des Conbook Verlags telefonierte (dem ich Monate vorher mal ein Reisethema angeboten hatte). Um es kurz zu fassen: Auch der Conbook Verlag war interessiert an einem neuen Hamburg-Reiseführer, allerdings mit 30 Spaziergängen statt 50 Mikroabenteuern. Beide Verlage sprachen sich ab, dass ich für jeden einen Hamburg-Reiseführer mit verschiedenen Schwerpunkten schreiben dürfte, und so stand ich Ende Juli plötzlich vor einem Großauftrag: zwei vollständige Hamburg-Reiseführer schreiben. Plus Fotos. Deadline Mitte Dezember. Was hatte ich mir da bloß eingebrockt?

Blasen und purzelnde Kilos 

Mit der Sorge im Nacken, dass ich die beiden Projekte neben anderen Schreibaufträgen, die Miete und andere Ausgaben bezahlen, niemals in diesem Zeitrahmen schaffen würde, begann ich eine wilde Recherche für beide Bücher. Ein paar Überschneidungen würde es zwar geben, aber nicht allzu viele. Zunächst erstellte ich Listen mit allen Orten, die ich schon kannte und für außergewöhnlich genug hielt, dann quetschte ich viele Hamburger nach ihren Top-Tipps aus und wühlte mich durch Artikel und Blogs. Außerdem knöpfte ich mir Google Maps vor, zoomte rein und raus auf der Suche nach grünen Flecken oder Spots, die ich auf Tauglichkeit für einen Reiseführer überprüfen wollte.

So entstanden zwei erste, lange Listen voller möglicher POIs (Points of Interest, wie sie im Fachjargon heißen) und die Recherche vor Ort startete, gleichzeitig mit der großen Hitzewelle des Jahres. Wie eine Einkaufsliste machte ich mir für jeden Tag einen Zettel mit Zielen, die ich abklappern würde, mal zu Fuß, mal mit dem Fahrrad. Für alles, was weiter entfernt lag, musste das Auto her. Gerade an Wochenenden lud ich meine fast 70-jährige Mutter ein, die erst Ende 2019 nach Hamburg gezogen war, mich zu begleiten, damit auch sie mehr von unserer schönen Stadt kennenlernte – und weil ich ansonsten keine Zeit mehr für sie gehabt hätte. 

Das erste Wochenende sah so aus: Samstagmorgen in aller Frühe Wanderung durchs Wittmoor, Fotos schießen, mitgebrachtes Picknick auf der Wiese schlemmen. Weiter nach Ahrensburg und Besichtigung des Schlosses, nettes Gespräch mit einer Mitarbeiterin, dann draußen das beste Licht für Fotos suchen. Weiter zum Sachsenwald, kurze Wanderung im schattigen, kühlen Wald, danach pünktlich zum Abendessen ins Forsthaus Friedrichsruh. Schnell auf dem Rücksitz mit Babypofeuchttüchern Schweiß und Staub von Gesicht, Armen und Beinen wischen, Deo unter die Achseln, Wanderklamotten und -schuhe gegen Kleider und Sandalen austauschen. Doch o je, vom vielen Laufen bei Hitze hatten sich die Innensohlen von Mums Schuhen aufgelöst und klebten ihr an den Füßen fest … Nach kurzem Ziehen, Zerren und Wischen stolperten wir mit blasigen Füßen hungrig ins Forsthaus. 

Sonntag: In aller Frühe raus, mit dem Auto auf die Südseite der Elbe und zur Fischbeker Heide. Wanderung auf dem Anfang des Heidschnuckenweges. Fotos schießen, picknicken und zurück zum Auto, bevor die Mittagssonne uns verbrannte. Weiter in Richtung Freilichtmuseum am Kiekeberg. Unterwegs gesperrte Straße wegen eines Unfalls. Umweg über die Autobahn. Spaziergang durchs Freilichtmuseum, ich schoss Fotos, während sich Mum von Damen, die das Spinnen vorführten, fast dazu überreden ließ, den Spinnerinnen beizutreten. Weiter zum Energiebunker in Wilhelmsburg, dessen Panorama-Café nur an Wochenenden öffnet. Mit dem Lift aufs Dach, Geschichtslektionen auf den Infotafeln abfotografieren, damit ich sie später am PC lesen konnte. Kühler Drink im vju Café. Weiter nach Harburg, zur berühmten Gasse Lämmertwiete, dann zum Achterbahnrestaurant. Das eins der 50 Kapitel werden sollte, aber wenige Monate später wegen Corona schloss. Wie viele weitere Attraktionen, die nach den Recherchen (und teils fertig geschriebenen Kapiteln) plötzlich schließen mussten, stets coronabedingt. Tage- und wochenlang ging es so weiter, die Kilos purzelten freiwillig. 

Die „Nahtoderfahrung“

Ende August kam der einzige Tag, der noch immer gemischte Gefühle in mir auslöst: Am Morgen machte ich mich per Fahrrad auf gen Innenstadt, Recherchen rund um den Hafen standen an. Ich radelte auf dem Radweg an der Einfahrt zu einem Geschäft vorbei, keine 200 Meter von zu Hause. Da schoss ein nach rechts abbiegender LKW vor mich. Mit überhöhter Geschwindigkeit, ohne ein Stück abzubremsen. Ich trat auf die Bremse, war den Reifen so nahe, dass ich das Gummi riechen konnte. Kam Millimeter vor dem Koloss zum Stehen. Heile. Die vielen traurigen Radio-Nachrichten über Radfahrer, die in Hamburg von rechtsabbiegenden LKWs übersehen und totgefahren werden, schossen mir in den Kopf, mein Herz schlug noch Stunden später wie verrückt. „Nahtoderfahrung“ nicht während einer Schneeleopardenexpedition im Gebirge Kirgistans oder in einem von Paramilitärs besetzten Dschungel in Kolumbien. Nein, auf meiner eigenen Straße, bei Recherchen für einen Hamburg-Reiseführer. Wie gut, dass mein Schutzengel stets auf Zack ist.

Das Sortieren aller Informationen und Schreiben erfolgte fast nebenbei – manchmal bis in die Nacht auf dem heißen Balkon, dann im Herbst bei Schietwetter auch wieder am Schreibtisch. Bis beide Bücher sogar vor der Deadline fertig waren. 

Fazit  

Als ich den fertigen Reiseführer der „Heimat Momente“ („Labyrinth Hamburg von Conbbok erscheint erst im Sommer) erstmals in den Händen halte, muss ich an Instagram-Models denken, die mit den passenden Outfits, Posen und Filtern geschickt Bauchfett, Cellulite und andere „Unschönheiten“ wegzaubern. Alles sieht so vollkommen und glatt aus, das Buch riecht so gut nach neu und gar nicht nach Schweiß. Aber das ist okay, denn mein Job bei diesem Buch ist es, dem Leser die schönen Ecken Hamburgs näherzubringen. Doch für mich persönlich sind die Seiten wie ein Tagebuch, voller Erinnerungen an Erlebnisse und Erfahrungen. Für die ich dankbar bin, denn trotz allem „Stress“, der wohl eine Zutat der meisten Aufträge ist, hat die Arbeit richtig viel Freude gemacht. So sehr, dass ich gleich weitere Verträge für neue Reiseführer mit den 360° Medien abgeschlossen habe. Seid gespannt, worum es dabei gehen wird.

Über die Autorin

Die Reisejournalistin Bernadette Olderdissen stammt aus dem Rheinland und entdeckte früh ihre Leidenschaft fürs Schreiben, Reisen und das Meer. Nach jahrelanger Lehrtätigkeit in verschiedenen Ländern, erfüllte sie sich 2017 einen Traum und arbeitet seitdem aus ihrer deutschen Lieblingsstadt Hamburg als freiberufliche Reisejournalistin und Autorin. Ihre Reportagen mit Fokus auf Naturerlebnisse und Menschen, erscheinen unter anderem im ADAC Reisemagazin, bei Touristik aktuell oder in der Stuttgarter Zeitung. Sie veröffentlicht außerdem  Bücher rund ums Reisen und  eine Globetrotter-Krimi-Serie.

50 Mikroabenteuer in Hamburg – Von Bernadette Olderdissen
50 Mikroabenteuer in Hamburg – Von Bernadette Olderdissen

Hamburg  HeimatMomente – 50 Mikroabenteuer zum Entdecken und Genießen

Taschenbuch: 256 Seiten, 208 Fotos, 7 Karten
Format: 16,5 x 11,5 cm
Verlag: 360° medien; 1. Auflage (April 2021)
ISBN: 978-3-96855-071-8

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