Ungebrochene Reiselust mit Hindernissen

Jurysitzung im Spiegel-Haus
Jurysitzung im Spiegel-Haus

Eine stimmungsvolle Reportage voller Musik, Nachdenken über den Sinn des Reisens und ein schonungsloser Selbstversuch: Das sind die Gewinner der Columbus-Autorenpreise 2022

von Heidrun Braun

Das Reisejahr 2022 machte schon wieder einiges möglich, war aber doch noch lange kein ideales Jahr für unbeschwertes Reisen. Davon zeichnen die eingereichten Wettbewerbsbeiträge für die VDRJ Columbus-Autorenpreise 2022 ein Bild. Die Lust aufs Reisen allerdings bleibt ungebrochen, die Reiseziele aber liegen meist innerhalb der Grenzen Europas. Auffällig viele Journalisten erprobten das Reisen mit der Bahn mit unterschiedlichen Erfahrungen und der einhelligen Erkenntnis, dass der Weg für zügiges, preiswertes und komfortables Reisen mit der Bahn noch weit ist. Auch das Nachdenken über Sinn und Unsinn des Reisens bleibt ein Thema.

Ausgezeichnet und mit Reisegutscheinen unseres Sponsors Gebeco prämiert werden in diesem Jahr eine Reportage über die bunte Musikkultur auf den Kapverden, die den Frauen der Insel Sao Vincente zu verdanken ist, ein berührender Text über die Reisesehnsucht, der eine Frau in den Mittelpunkt stellt, die aufgrund ihres Alters nicht mehr reist und ein gewagtes Reiseexperiment mit dem Zug von Ost nach West quer durch Europa.

Die Musikkultur der Kapverden

Der Preis für die Beste Reportage geht an Elena Witzeck, die sich in ihrem stimmungsvollen Text auf die Spuren der kapverdischen Musikkultur begibt. Sie trifft eine junge Sängerin in der Bar Metalo. Sie beschreibt die Musik und die Träume der Protagonisten: entdeckt werden, Karriere machen. Am liebsten in Europa. Der Schauplatz ist perfekt gewählt: In der Hafenstadt Mindelo auf der Insel Sao Vicente kam 1941 die Sängerin Cesária Évora zur Welt, die durch die Kneipen der Insel tingelte, bevor sie 1988 ihren großen Durchbruch in Europa erlebte. Im Text wird der Musikstil, die enge Verwandtschaft zum portugiesischen Fado, differenziert beschrieben. Die Reportage überzeugt mit ihrer aktuellen und historischen Relevanz. Die Kapverden als „Ort des Transits“, als Schmelztiegel der Kulturen und die Schattenseiten der Sehnsuchtsinseln: das ärmliche Viertel Riberia, aus dem Cesária Évora, die spätere Diva stammt.

Was vom Reisen übrig bleibt

Mit dem Preis für die Besondere journalistische Leistung wird Barbara Schaefer ausgezeichnet, die einen sehr berührenden Text über einen sehr intensiven Briefwechsel mit der Leserin Frau B., der über 15 Jahre währte. In der Korrespondenz geht es um das Reisen, die Sehnsucht danach und wieso es uns, selbst wenn man nicht mehr reisen kann, bis zuletzt erfüllt. Frau B. kann aus Altersgründen nicht mehr reisen und schreibt: „Diese Sonnenuntergänge in aller Welt kann mir niemand mehr nehmen.“ Die Lockdown-Erfahrungen haben auch Jüngeren deutlich gemacht, wie groß ihre Reisesehnsucht ist und wie wichtig Erinnerungen an Erlebnisse und Abenteuer sind, die auch nach langer Zeit nicht verblassen. Es ist ein bewegender Text, den es so noch nie in einem Reiseteil gegeben hat, der ganz nah am Puls der Zeit ist und das Nachdenken über den Sinn des Reisens gelungen und originell transportiert.

Schonungsloser Selbstversuch

Der Förderpreis für junge Autoren geht an Yves Bellinghausen. Sein Thema liegt in der Luft: Die Bahn als klimafreundliches und günstiges Verkehrsmittel soll im Sinne der Nachhaltigkeit in Zukunft Flugzeuge und Autos als Transportmittel in Europa weitgehend ersetzen. Seinen Plan, auf schnellstem Wege von Istanbul nach Lissabon mit dem Zug zu fahren, ohne Zwischenstopp und Sightseeing, setzt er konsequent und im schonungslosen Selbstversuch um. Dabei ist er von Ost nach West quer durch Europa länger unterwegs als Apollo 11 einst zum Mond gebraucht hat. Mancher mag das für eine absurde, ja sogar eine bescheuerte Idee halten. Ein Blick in die Fahrpläne hätte schon vor Antritt der Reise ihren Verlauf vorhersagen können. Mag sein, aber wer sich beim Lesen auf das Thema einlässt, bleibt bis zum Schluss am Ball, sitzt sozusagen 119 Stunden und 16 Minuten neben dem Autor in 13 Zügen und bekommt wie er nicht nur ein Bild von der Realität des Bahnfahrens, sondern womöglich auch die unausweichlichen Nackenschmerzen.

Jury Autorenpreis
Jury Autorenpreis

Die Autorenpreis-Jury 2022

  • Barbara Liepert, FAZ/FAS
  • Merten Worthmann, DIE ZEIT
  • Alicia Kern, Gebeco
  • Antje Blinda, Spiegel Online
  • Philipp Laage, freier Journalist
  • Wolfgang Stelljes, freier Journalist
  • Heinz Dietl, freier Journalist
  • Tanja Neumann, Vielweib on Tour
  • Johannes Klaus, Reisedepeschen
  • Heidrun Braun, Preis-Geschäftsführerin VDRJ Autorenpreis
Wir danken dem Sponsor der Columbus-Autorenpreise 2022

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