In der Pandemie entdecken viele, dass es nicht unbedingt von Nachteil sein muss, einen Gang herunter zu schalten. Eckart Mandler, Gewinner des VDRJ-Ehrenpreises 2021, weiß das schon lange.
Von Hans-Werner Rodrian
1986 eröffnete in Rom der erste McDonald’s. Der Journalist Carlo Petrini empfand den Fast-Food-Laden als Angriff auf die kulinarische Kultur Italiens und gründete im gleichen Jahr eine Gegenbewegung: Slow Food. Aus dem Big-Mac-Protest von damals ist heute ein weltweites Netzwerk geworden, das Verbraucher mit lokalen Erzeugern und Gastronomen im Sinne bewusster Esskultur und Lebensmittelproduktion zusammenbringt. Eine ähnliche Erfolgsstory soll nun auch im Tourismus geschrieben werden: Die Slow-Travel-Bewegung will nachhaltiges Reisen in kleinen Netzwerken ohne CO2-Schleudern ermöglichen.
Es ist ja auch tatsächlich verrückt: Warum müssen wir immer noch eine Attraktion und einen Adrenalin-Kick mehr in unseren Urlaub einbauen? Wozu der Stress? Corona hat vielen klargemacht, dass Leerlauf auch seine Reize hat. Da kommt Slow Travel gerade recht: Wie wär’s mit der Entdeckung der Langsamkeit unterwegs? Bei der nächsten Reise könnte man ja mal nicht mehr, sondern intensiver zu genießen versuchen. Alles kann sowieso niemand sehen. Vollständigkeit gibt es beim Reisen nicht, dafür Sinneseindrücke, Begegnungen und Erlebnisse.
Das Spannende daran: Slow Travel ist keine Utopie und auch nicht neu, sondern existiert seit Jahrzehnten fröhlich in kleinen, unbeachteten Nischen. Wer sehen will, wie organisiertes Reisen als Graswurzelbewegung funktioniert, der kann zum Beispiel ins österreichische Bundesland Kärnten fahren. Dort ist bereits ziemlich viel slow: Es gibt da Slow Food Travel und Slow Food Täler und Slow Food Dörfer.
Eine Basis mit zwei Erfolgsfaktoren
Das alles ist natürlich kein Zufall. Denn hinter erfolgreichen Entwicklungen stecken ja meistens Menschen. Im Fall Slow Travel und Kärnten ist das ein heute 63-jähriger Bauernsohn aus dem Bergdorf Irschen im Drautal: Eckart Mandler. Der sportliche Touristiker vernetzt seit mehr als 30 Jahren erfolgreich kleinbäuerliche Strukturen und dörfliche Familienunternehmen und schafft so eine Basis mit zwei Erfolgsfaktoren: Die Einheimischen bekommen eine Lebensgrundlage, und den Urlaubern schmeckt’s.
Mandlers Eltern ging es wie vielen auf den steilen Südhängen des Drautals. Sie hatten eine kleine Landwirtschaft, wie das damals üblich war: Ausgerichtet auf Selbstversorgung, ging der Vater auf Arbeit, die Mutter kümmerte sich um Kinder und Hof. Und irgendwann kamen auch noch Gästezimmer dazu.
In den Tourismus rutschte Mandler eher zufällig. In seinem Heimatdorf war eine Stelle für die kommunale Verwaltung ausgeschrieben. Und da gehörte das Verkehrsbüro eben dazu. Das war auch nicht hauptberuflich. Der Vorgänger war gleichzeitig Schulrektor gewesen. Da ging es im Wesentlichen darum, den Schriftverkehr bei Gästeanfragen zu erledigen. Aber es haben sich in den 1980er-Jahren einige Dörfer auch bereits zum Regionalverband Oberdrautal zusammengeschlossen, mitten drin: Eckart Mandler.
1990 hatte er genug vom kommunalen Dienst. Er kündigte und machte aus der elterlichen Gästepension das erste Kräuterhotel der Alpen: Tee statt Schnaps, fleischreduzierte Gerichte und Zimmer nur für Nichtraucher, „die Nachbarn hielten mich alle für einen Spinner”. Aber das Landhotel Irschen gibt es heute noch, es hat gerade mal 14 Zimmer und floriert. Parallel gelang es Mandler, im Dorf Menschen zu überzeugen, mitzuziehen. „So hat sich das ganze Dorf Irschen in Richtung Kräuter entwickelt”, resümiert er heute. Auf Mandlers Ideen basieren das „Kräuterdorf Irschen” und fünf Jahre später auch die Kooperation der Wanderhotels in Europa.
Gemeinsamkeit ist ungemein bereichernd
Anfang der Neunziger: Das war die Zeit, als die Österreich Werbung (ÖW) für jedes und alles eine Angebotsgruppe ins Leben rief. Damals entstanden die Kinderhotels und die Angler- und die Reiterhotels und viele mehr. Aber die Wanderer hat die ÖW damals nonchalant übersehen, weil man ja eigentlich vom „Wanderbaren Österreich” weg wollte. Dann hat es halt Eckart Mandler gemacht und andere Hoteliers angesprochen, die selber Bergfexe waren wie er. „Das war auch nicht schlecht”, erinnert er sich, so konnte er die Hotelgruppe von vornherein grenzüberschreitend anlegen.
Besser gemeinsam: So hat er es eigentlich immer gehalten, er hat Ideen und Projekte geteilt, ein Netzwerk aufgebaut, anstatt es allein zu versuchen. „Gemeinsamkeit ist ungemein bereichernd”, erklärt er, und fügt noch hinzu: „Eine Idee beweist sich erst dann als wirklich gut, wenn andere sie kopieren.”
Umgekehrt überlegt Eckart Mandler auch selbst stets, wie er seine Lebensthemen anreichern kann. So war die Idee der Verknüpfung von nachhaltigen Reisen mit authentischem Essen „schon lange in mir gewesen”. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ja noch niemand Slow Food und Tourismus zusammengebracht. Dann lernte der Kärntner die TV-Journalistin Barbara van Melle kennen, die damals Vorsitzende von Slow Food Wien war und einen touristischen Paten suchte, um nachhaltige Lebensmittelproduktion mit Tourismus in Einklang zu bringen.
Dieser Pate wurde das Land Kärnten mit dem Tourismus-Chef Christian Kresse. Er holte Eckart Mandler als „Kümmerer“ und dieser hatte das Netzwerk und das Organisationstalent und die innere Ruhe, zwischen Aktivisten und Traditionalisten und Beamten und Politikern einen Ausgleich zu schaffen und trotz aller Querschüsse sein Projekt voran zu schieben. Mehr noch: Es gelang ihm sogar, auch die Kärnten Werbung mit ins Boot zu holen.
2015 ging schließlich Slow Food Travel an den Start – ein Angebot, bei dem die Urlauber den örtlichen Bäckern, Käsern und Metzgern über die Schulter schauen und selbst mit anpacken dürfen. Um die Vielfalt der Lebensmittelmacher zu zeigen, die das Gailtal, Lesachtal und Drautal anzubieten hat, wurde ganz modern ein Internetportal aufgesetzt, in dem sich Mydays-mäßig Brotback- und Speckräucherkurse ebenso buchen lassen wie Kräuterseminare und Bierbrauen.
Das Konzept erwies sich als voller Erfolg. Die Kurse waren selbst im Corona-Sommer 2020 gut gebucht, andere Ferienregionen in Italien und der Schweiz haben bereits nachgezogen. Für Eckart Mandler ist das kein Wunder: „Menschen haben ein Interesse, Lebensmittel kennenzulernen. Sie wollen sie handgemacht und geschmackvoll. Und der Wanderer will wissen: Wie schmeckt die Landschaft?”
2021 werden weitere Slow Food Villages hinzukommen
Aber wieso gelang diese Symbiose zuvor noch nirgendwo so recht und nun gerade in Kärnten? Eckart Mandler hat auch dafür die Erklärung: „Die Italiener sind unerreichbar gut, wenn es um die Kultur des Essens und Genießens geht. In Deutschland kann man perfekt organisieren. Und wir liegen irgendwo dazwischen.” Von Anfang an hatte Mandler ein gutes Verhältnis mit der sonst bei Kooperationen eher spröden italienischen Slow-Food-Bewegung und ihrem Übervater Carlo Petrini. Mittlerweile existieren bereits ein halbes Dutzend Slow Food Travel-Gebiete, unter anderem im Piemont und Tessin.
Aber die Story ist noch nicht am Ende: Seit diesem Jahr gibt es nun auch Slow Food-Dörfer. Die müssen unter anderem das örtliche Handwerk revitalisieren, dazu Ernährungsprojekte in Schulen und Kindergärten aufsetzen, um den Titel zu bekommen. Sieben Kärntner Ortschaften in der Umgebung des Millstätter Sees, des Ossiacher Sees und des Weißensees dürfen sich seit November 2020 Slow Food Village nennen oder auf Deutsch „Orte guten Lebens”.
„2021 werden zehn weitere Slow Food Villages hinzukommen“, sagt Mandler. Andere österreichische, auch internationale Orte haben bereits Interesse angemeldet. Das Ziel ist ja auch verlockend: Landwirtschaft und Tourismus zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zu bringen. Gemeinsam will man die Gäste für den Schutz der biologischen Vielfalt und des kulturellen Erbes sensibilisieren und diese Idee mit dem Reisen, dem Entdecken neuer Lebensräume vereinen.
Eckart Mandler vergleicht das gern mit Perlen. Die scheinen zunächst versteckt zu sein, dann sieht er einzelne herumliegen, und wenn er lange genug daran poliert, dann entsteht daraus eine ganze Kette. Und kaum schaut jemand genau hin, beginnt sie wunderschön zu glänzen.
Auswahl an Artikeln von Reisejournalist*innen der VDRJ über Slow Tourism, Slow Travel und Slow Food in Kärnten
- The Travel Episodes – Mach mal langsam – Slow Food Travel in Kärnten
- Indigoblau, Andrea Lammert – Bienen im Gailtal: Besonderer Honig aus Kärnten
- Indigoblau, Andrea Lammert – Dorfladen im Lesachtal – wie ein kleiner Hexenshop
- Anita auf Reisen – Slow-Food-Travel im Gailtal und Lesachtal
- Anita auf Reisen – Meine Slow Travel Highlights aus 2019
- Salzburger Nachrichten – Anita Arneitz – Lavanttaler Labstellen
- Schönste Zeit Magazin, Charis Stank – Grünes Gold auf 1150 m: Irschner Bergkräutertee
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