Pressereisen – nur Butterfahrten für die Medien?

Hans Werner Rodrian

Lustreise oder notwendige Information? An Pressereisen scheiden sich die Geister. Einladungen zu schönen Reisen sind ja einerseits das, was immer noch Heerscharen in den Reisejournalismus drängen lässt. Aber schon immer stand der Vorwurf der Vorteilsgewährung im Raum. Dazu kommt jetzt ein praktisches Problem: Das Instrument funktioniert nicht mehr so wie früher. Pressestellen liefern sich einen Wettlauf um Teilnehmer und klagen anschließend über unbefriedigenden Output. Für die Journalisten ist die Sache immer öfter ein Draufzahlgeschäft bei Honorar und Erkenntnisgewinn. Über Auswege aus diesem Dilemma erörterte kürzlich eine Online-Podiumsdiskussion (WebCon) auf Einladung der VDRJ. Es diskutierten Marina Noble (PR-Agentin, noble kommunikation, und Leiterin des VDRJ-PR-Kreises), Dr. Heidrun Braun (freie Journalistin), Catherine Bouchon (Pressesprecherin, Lindner Hotels), Johannes Klaus (Blogger, Reisedepeschen.de, Travelepisodes.com) und Jürgen Zupancic (Chefredakteur, Clever Reisen). Die Moderation übernahm Hans-Werner Rodrian (freier Journalist, SRT-Journalistenbüro).

Jeder zweite Beitrag in Reiseteilen basiert auf Pressereisen

Welche Bedeutung haben Pressereisen heute? Die Agentur Noble Kommunikation hat dazu extra für diese WebCon 50 Redaktionen befragt. Das Ergebnis stellte Agenturinhaberin Marina Noble zu Beginn vor: Praktisch jeder zweite Beitrag in Reiseteilen von Tageszeitungen, Magazinen und Online-Portalen entsteht danach auf Basis einer Pressereise. Den Ergebnissen nach erhalten Reiseredaktionen im Monat durchschnittlich 15 Einladungen zu Gruppen- und neun zu individuellen Pressereisen. Wenige Recherchen entstehen hingegen auf Eigeninitiative der Redaktion – nur zwei im monatlichen Durchschnitt. Noble hätte die Zahl der Einladungen höher erwartet: „Wir hören immer wieder, dass Redaktionen geradezu überschwemmt werden.“ Gleichzeitig beobachtet sie einen Trend hin zu individuellen Recherchen. Diese haben oft einen kulinarischen, kulturellen oder wissenschaftlichen „Aufhänger“. Dabei werden Reisethemen sozusagen in einem “anderen Kleid“ verpackt und auch für andere Medien oder Ressorts relevant.“

Aus eigenen Erfahrungen berichtete Hans-Werner Rodrian. Er ist Partner bei SRT. Dieses Journalistenbüro, in dem sich mittlerweile 48 Kollegen zusammengetan haben, erhält rund 1200 Pressereisen im Jahr. Dazu kommen noch mal noch etwa 2500 Pressereisen, zu denen einzelne SRT-Partner eingeladen werden. Insgesamt rechnet Rodrian mit einem Volumen von 6000 Pressereisen im deutschsprachigen Raum pro Jahr. Aktuell gehen etwas mehr individuelle Angebote als Gruppenpressereisen ein. Angenommen wird nur jede 20. Einladung – insgesamt sind das 50 bis 70 Pressereisen jährlich. Hinzu kommen noch mal 200 Artikel nach Pressereisen, zu denen SRT-Autoren individuell eingeladen waren. Diese Zahlen ließen sich relativ gut auswerten, da nach SRT-Statut jeder Text, der auf PR-Unterstützung basiert, eine entsprechende Fußnote erhalten muss. Rodrian hat ein drei Versandmonate ausgewertet und kommt auf 69 von 198 Texten mit einer solchen Markierung, das entspricht 35 Prozent.

Journalisten brauchen mehr Zeit – auch bei den einzelnen Programmpunkten

An acht bis zehn Pressereisen im Jahr nimmt Heidrun Braun teil. Die freie Journalistin weiß nach 20 Jahren, wo es sich lohnt mitzufahren und wo nicht. Für sie sind die Tourismusorganisationen der Länder und Regionen „die wahren Meister der Pressereisen“, weil sie meist besser im Thema seien als PR-Agenturen. Die Qualität einer Pressereise steht und fällt für Braun mit der Vorbereitung: „Oft hat man den Eindruck, dass die Einlader selbst noch nicht genau wissen, was auf der Reise passiert. Mir ist wichtig, dass ich schon vorher weiß, welche Leute ich auf der Pressereise treffe, wo und wie lange ich wandern werde etc.“ Vor allem müssen für sie „auch interessante Leute vorkommen, nicht nur Gemäuer und Landschaften“. Schon bevor Braun die Reise antritt, will sie „eine Vorstellung davon haben, welche Geschichten ich mitbringen möchte und wem ich die verkaufen kann“. Zentral ist für sie eine Forderung: „Journalisten brauchen mehr Zeit – und zwar nicht nur für die eigene Recherche, sondern auch bei den einzelnen Programmpunkten. Ein Fehler ist oft, dass die Programme viel zu vollgestopft sind.“

Jürgen Zupancic ist Chefredakteur und Verleger des Magazins „Clever Reisen“: Dieses Jahr war er selbst verhältnismäßig oft unterwegs, insgesamt auf sieben Reisen. Themen plant er stets mit einem Inner Circle von festen Autoren einmal im Jahr, meistens im Oktober. Dabei wartet er nicht auf Themen aus Pressereisenangeboten, sondern denkt sie sich selbst aus und beauftragt dann die Freien. Die kümmern sich dann ggfs. um Unterstützung. Bei seiner langfristigen Planung kommt Zupancic der Trend bei nationalen Tourismusverbänden entgegen, die Pressereisen ihrer Region zu konsolidieren und am Anfang des Jahres eine Übersicht zu schicken: „Das ist gut für uns.“ Grundsätzlich bemängelt er die Einfallslosigkeit. Für ihn gilt: „keine Reise ohne Programm“. Ein roter Faden ist immer gewünscht. Zeit für eigene Recherchen sollte auch reichlich vorhanden sein. Und sein Tipp: „im Vorfeld absprechen, was erwartet wird, damit es hinterher keine Missverständnisse gibt“. PR-Agenturen und Pressesprecher sollten für ihn auch Trendscouts aus ihrer Region sein, „es dürfen gern auch Ziele in der zweiten Reihe vorgeschlagen werden statt immer nur die Rennstrecken“.

Blogger wollen nicht als Marketinginstrument wahrgenommen werden

Nichts hat die Pressereisen in den vergangenen Jahren so verändert wie die Blogger. Einer der bekanntesten ist Johannes Klaus („Reisedepeschen“, „Travel Episodes“). Er selbst macht etwa zehn Pressereisen im Jahr – aber mittlerweile ausschließlich individuelle Kooperationen, wo er mit der Destinationen oder Agentur direkt ausmacht, was für ihn interessant ist: „Ich gehe eigentlich gar nicht mehr auf Gruppenreisen, sondern organisiere die Ziele, die für mich interessant sind, selber“ – mit Unterstützung, die er ebenfalls dazu organisiert. Die Einladungen, die reinkommen, gibt er an seine Autoren weiter, „und da werden vielleicht fünf bis zehn Prozent wahrgenommen“. Ursprünglich völlig unkommerziell gestartet, reisen heute die meisten erfolgreicheren Blogger mit Unterstützung der Branche. Um da manchen Wildwuchs einzudämmen, hat Klaus gemeinsam mit anderen 2013 den Reisebloggerkodex entwickelt. Mittlerweile 380 Blogger sind heute dabei und kennzeichnen Reise-Unterstützungen unter den jeweiligen Artikeln.

Für Johannes Klaus ist eins besonders wichtig: „Der Blogger braucht viel Zeit und wenig vorgegebenes Programm.“ Von Agenturen und Firmen werde der Blogger aber vielfach weniger als Journalist wahrgenommen, sondern eher als Marketinginstrument. Darüber ärgert er sich: „Einladende wollen ständig vorschreiben: An diesem Tag sollen so und so viele Social Media Posts entstehen oder ein Blogpost pro Tag – so was mache ich nicht.“ Solche Offerten gibt er auch nicht an seine Autoren weiter: „Ich möchte frei sein, was ich wann veröffentliche.“

Viele zwielichtige Anfragen an die Pressestellen

Das ist für Catherine Bouchon selbstverständlich. Die Leiterin der Pressestelle der Lindner Hotels ist pressereisenmäßig eher klassisch unterwegs, den Trend zu individuellen Pressereisen sieht sie nur bedingt: „Ich denke, dass wir bei Gruppenpressereisen ein größeres Programm anbieten können. Viele Journalisten finden es auch gut, sich untereinander kennen zu lernen und auszutauschen.“ Bouchon organisiert etwa acht Pressereisen im Jahr, bei denen sie immer mindestens einen halben Tag zur freien Verfügung und Recherche einplant. Ihre Einladungslisten stellt Bouchon ganz individuell zusammen: Autor und Medium sollen zum Thema passen. Schwarze Listen gibt es bei ihr nicht, „wer negativ auffällt oder mit wem wir schlechte Erfahrungen haben, der ist einfach nicht mehr in unserem Verteiler.“ Wer eingeladen werden will, der solle halt auf sich aufmerksam gemacht haben. Eher selten, nur ungefähr zweimal pro Monat, kommen Autoren oder Redaktionen auf ihre Pressestelle mit einem konkreten Thema und einer konkreten Unterstützungs-Anfrage zu. Dem kommt sie gern entgegen. Oft kämen aber einfach nur „zwielichtige Übernachtungsanfragen“, nach dem Motto: „Ich habe da so eine Webseite“, und wenn man dann genauer nachfrage, was denn die Geschichte sei, dann komme oft nichts Richtiges zurück. „Und dann hat sich das auch von allein erledigt.“

Als schwierig erwies sich in der VDRJ-Diskussion das Austarieren von Inhalt und Dauer der Pressereisen. Marina Noble bestätigte zwar: Was Heidrun Braun und Johannes Klaus sagten, decke sich auch mit ihrer Umfrage: Es wird sehr viel mehr Zeit für eigene Recherchen gewünscht – für Erlebnisse am Rande und um individuelle Themen auch selbst zu bearbeiten. Noble machte allerdings auch auf einen Widerspruch aufmerksam: „Das steht im Gegensatz zu dem anderen Wunsch, dass die Pressereisen immer kompakter werden sollten und einen möglichst wenig vom Schrebtisch wegreißen.“

Die klassische Pressereise hat nicht ausgedient, wenn sie nur gut vorbereitet ist

Heidrun Braun fordert deshalb: „Eine Pressereise muss mehr als eine Geschichte bringen.“ Nur sehr wenige Einlader schaffen es ihrer Erfahrung nach, diesem Anspruch gerecht zu werden und ihre Ziele mit interessanten Leuten und kompetenten Gesprächspartnern zu verbinden. Braun: „Ein Stadtführer, der mit der Journalistengruppe die gleiche Führung macht wie am nächsten Tag mit der Rentnerausfahrt, gehört zum Beispiel nicht dazu. Genauso unangebracht sind Pressereiseteilnehmer, die entweder gar nicht so genau wissen, wo sie eigentlich sind oder auf der Kreuzfahrt meckern, dass man so viel auf See ist.“ Die klassische Pressereise hat aus Heidrun Brauns Sicht keineswegs ausgedient, wenn sie nur gut vorbereitet ist und das Thema auch ein Thema ist. Obwohl sie bei ihren Recherchen nur ein Drittel (was sie noch zu viel findet) ausmacht, möchte sie Pressereisen nicht missen. „Was ich sagen will: Nur, weil man nicht in der Lage ist, gute Pressereisen zu organisieren, heißt das noch lange nicht, dass diese Form der Recherche am Aussterben ist.“

Offenbar in Wohlgefallen aufgelöst hat sich ein anderer Disput: der zwischen Bloggern und traditionellen Journalisten. Nicht nur für Marina Noble verwischen sich da die Grenzen. „Früher schrieben wir Bloggerreisen aus, wo WLAN zur Verfügung stehen musste. Heute sind auch klassische Journalisten auf Instagram und Facebook unterwegs, ohne das geht es nicht mehr.“ Auch Johannes Klaus hat mit gemeinsamen Reisen „keine Probleme. Es nähert sich durchaus an.“ Gegensätze seien weniger sachlicher, sondern subjektiver Natur: „Es gibt weiter Reisejournalisten, die mit Bloggern Probleme haben. Und es gibt auch Blogger, die mit Journalisten Probleme haben. Und wenn das zusammentrifft, dann wird das natürlich schwierig.“ Er selbst fand es aber „immer interessant, Einblicke zu kriegen in andere Arbeitsweisen. Wenn ich nur mit anderen Bloggern unterwegs bin, dann kenne ich ja schon alles.“

Hotels und Airlines haben es schwer bei Pressereisen

Kein Verständnis äußerte der bekannte Blogger zu der Tendenz, dass Blogger sich nicht nur einladen lassen, sondern auch Tageshonorare verlangen – zusätzlich zur Einladung: „Das halte ich für völlig daneben, und wenn ich das mitkriege, dann sage ich dass auch immer. Bei Pressereisen verlange ich nie ein Honorar.“ Etwas anderes sei es allerdings, wenn es sich um eine Marketingkampagne handele, „das muss honoriert werden.“ Er selbst mache selten Marketingkooperationen, hält das aber für eine „legitime Form der Finanzierung: Da werden dann Absprachen getroffen, allerdings muss das nach Reisebloggerkodex deutlich gekennzeichnet werden.“ Inhaltlich sei der Blogger auch in solchen Kooperationen frei, worüber er berichte, aber er werde ja dafür bezahlt, „und das führt dann in der Regel zu einer etwas positiveren Berichterstattung. Mit Reisejournalismus hat das nicht mehr viel zu tun.“

Ausführlich diskutierte die Runde über ein anderes ungelöstes Dilemma: die Rolle der Leistungsträger von Pressereisen. Auch wenn ein Tourist Board einlädt, entsteht eine Reise selten, ohne dass Airlines und Hotelpartner involviert sind. Diese wollen im Gegenzug ebenfalls ihren Anteil an der Berichterstattung, was aber von Autoren und Redaktionen oft abgelehnt wird, wenn es nichts mit dem Thema zu tun hat. Für Marina Noble ist die Vermittlung dieser unterschiedlichen Erwartungshaltungen eine wichtige Aufgabe von PR-Agenturen wie der ihrigen. Das funktioniere in Nahzielen wie bei ihrem Kunden Franken Tourismus auch sehr gut; „in Übersee haben wir es aber manchmal viel schwerer, auf Erwartungshaltungen der Journalisten hinzuweisen – da gibt es halt ein ‚give and take‘.“

Unklar: Gilt Pauschalreiserecht für Pressereisen?

Problematisch aus Einladersicht ist zudem die Akquise der Journalisten: Hier bedauern die Mitglieder des PR-Kreises der VDRJ seit Jahren, dass auf Pressereisen-Einladungen keine Antwort komme bzw. die Entscheidung lange hinausgezögert werde. Hans-Werner Rodrian sieht darin kein echtes Problem: Keine Antwort sei doch auch eine. Marina Noble warb dennoch um ein Verständnis für ihre Situation: „Wir wollen ja die richtige Mischung an Teilnehmern, daher ist der Einladungsprozess sehr komplex. Mit einem klaren Nein können wir ja auch gut leben, nur der Schwebezustand macht es für uns manchmal sehr schwierig.“

Noch ärgerlicher sei es allerdings, wenn Teilnehmer zu- und dann kurzfristig wieder absagen. Noble schilderte einen typischen Fall:  Da wird Anfang des Jahres eingeladen, und dann kommen die verbindlichen Anmeldungen herein für eine Reise im November. Und kurz davor gibt es dann doch wieder Situationen, die einen Teilnehmer zurücktreten lassen. Dafür mag es im Einzelfall gute Gründe geben. „Aber manchmal haben wir doch den Eindruck, dass erst mal eine Zusage gegeben wird und man dann, wenn eine bessere Einladung kommt, von der ersten wieder zurücktritt.“

Das alles geschieht in einem schwierigen rechtlichen Rahmen. Eine klare gesetzliche Regelung für Pressereisen gibt es nicht. Rodrian wies darauf hin, dass das Pauschalreiserecht nicht greift, weil ja die Bezahlung fehlt. Und Marina Noble ergänzte, dass der PR-Kreis der VDRJ sich intensiv mit dem Thema befasst und juristischen Rat eingeholt hat. Das Ergebnis: Es könnte durchaus Richter geben, die das Pauschalreiserecht anwenden würden. Noble weiter: „Wir als Agentur haben uns vorsichtshalber dagegen versichert. Und wir weisen auch in allen Einladungen darauf hin, wer der Veranstalter ist.“ Zudem verweist sie auf die Pressereisen-Standards des PR-Kreises der VDRJ, die bereits im Vorfeld einer Reise Transparenz schaffen sollen

Die Auswertung von Noblekom zum Thema Pressereisen finden Sie hier

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