Einchecken nach Nirgendwo

Der BER wird derzeit auf Herz und Nieren geprüft: Flughafentester beim Speedy Boarding. (Foto: Heidi Diehl)
Der BER wird derzeit auf Herz und Nieren geprüft: Flughafentester beim Speedy Boarding. (Foto: Heidi Diehl)

Seit dem ersten Spatenstich 2006 in Berlin-Schönefeld wurde die ursprünglich für 2011 geplante Eröffnung des neuen Berlin-Brandenburger Flughafens mehrfach verschoben, zuletzt auf unbestimmte Zeit. Der BER wurde mehr und mehr zur Witznummer. Nach 14 Jahren Bauzeit soll der Flughafen nun am 31. Oktober dieses Jahres endlich an den Start gehen. Tausende Freiwillige wurden dazu eingeladen, die Abläufe vom Check-in bis zur Ankunft auf Herz und Nieren zu testen. Mit dabei war Heidi Diehl und das nicht zum ersten Mal …

Schon einmal checkte ich als Komparsin auf dem neuen Berlin-Brandenburger Flughafen BER nach Nirgendwo ein, mehr als 3.000 Tage liegt das zurück. Damals, im Frühling des Jahres 2012, war ich noch fest davon überzeugt, dass ich ab dem Sommer von dort richtig abheben würde. Doch kurz vor dem Eröffnungstermin kam die Absage. Aus der geplanten Eröffnung am 3. Juni 2012 wurde nichts, weil gravierende Sicherheits- und Baumängel festgestellt wurden.

Wie sich im Laufe der Jahre herausstellte, war das noch stark untertrieben. Täglich gab es neue Hiobsbotschaften. Die Kosten stiegen ins Unermessliche. War beim ersten Spatenstich im September 2006 noch von rund zwei Milliarden Euro Gesamtkosten die Rede, so werden sie sich nun voraussichtlich auf 7,1 Milliarden Euro belaufen. Sechs Mal wurde der Eröffnungstermin bereits verschoben, immer mehr Leute zweifelten daran, ob der BER jemals an den Start geht. Doch nun scheint es so, als sollte das Wunder doch noch geschehen. Nach mehr als neun Jahren Verspätung soll der BER am 31. Oktober dieses Jahres nun endlich eröffnet werden.

Flughafentester mit Regieanweisung

Der Countdown läuft: Seit Anfang Juli bis Mitte Oktober wird er von Flughafenmitarbeitern und rund 9.000 freiwilligen Komparsen auf Herz und Nieren geprüft. Insgesamt 28 Probebetriebstage wird es geben, an denen alle Bereiche sowie Abläufe des Flughafenbetriebs und auch viele andere Szenarien, wie zum Beispiel Evakuierungen nach Feueralarm oder andere Katastrophen geprobt werden. Gemeinsam mit 400 weiteren Komparsen gehöre ich zu jenen, die Mitte Juli einen Tag lang das tun, was täglich Millionen Menschen auf den Flughäfen der Welt machen: einchecken, die Sicherheitskontrolle passieren, Gepäck aufgeben, Boarding, Ankommen oder Gepäck vom Band nehmen. Und so, wie auf allen Flughäfen der Welt kann dabei allerhand passieren.

Die Tester werden in Gruppen eingeteilt und jeder bekommt eine Ereigniskarte, eine Art Regiezettel, auf dem steht, was man machen soll. Ich werde zunächst als „Nurettin Boller“ von Berlin-Brandenburg mit EasyJet nach Grenoble mit einem Gepäckstück fliegen. Eingecheckt bin ich schon, kann also sofort zum EasyJet-Bag-Drop-Schalter. Weil ich ein EasyJet Plus Customer bin, darf ich Speedy Boarding nutzen. Soweit die erste Aufgabe. Ich greife mir einen Koffer, die zu Hunderten bereitstehen, und mache mich auf den Weg. Erst einmal orientieren: Schnell habe ich auf der Abflugtafel meinen Flug gefunden. Zum Check-in muss ich mich zu den Schaltern 611 bis 618 begeben. Kein Problem, denn zum Glück ist der Weg dorthin gut ausgeschildert. Auch die Gepäckaufgabe funktioniert problemlos, doch mir ist bereits aufgefallen, dass ich zwar meine Bordkarte habe, aber keinen Sitzplatz.

Überraschungen im Gepäck

Von dem freundlichen Mitarbeiter beim Speedy Boarding erfahre ich, dass die Maschine leider überbucht sei, ich solle mich am Abfluggate an die Mitarbeiter wenden. Mal sehen, was passiert. Zunächst muss ich ohnehin erst durch die Sicherheitskontrolle. Wo ist die bloß zu finden? Ein Flughafenmitarbeiter zeigt mir den Weg und gibt mir den Tipp, mich vorher an der Abflugtafel zu informieren, welche der vier Sicherheitskontrollbereiche geöffnet und wie stark sie frequentiert sind. Staunend stehe ich erneut vor der Tafel, so etwas kenne ich von anderen Flughäfen nicht. Ich kann daran nicht nur sehen, wo sich die einzelnen Bereiche befinden und wo genau ich zurzeit stehe, sondern auch, dass zwei Bereiche geschlossen sind und an einem ziemlich viel Andrang herrscht. Den lasse ich links liegen. Und tatsächlich: In „meinem“ Sicherheitsbereich ist nicht allzu viel los.

Als Vielflieger kenne ich natürlich das Prozedere, greife mir eine Wanne, lege alles aus den Hosentaschen und die Flüssigkeiten rein, packe den Rucksack dazu und begebe mich zum Körperscanner. Das geht alles flott. Dann sehe ich das Unheil nahen: Mein Rucksack wurde automatisch aussortiert, irgendwas Verbotenes ist drin. Penibel durchsucht der Mann von der Security alle Taschen und wird auch schon bald fündig: ein Taschenmesser. Doch da es weniger als sechs Zentimeter lang ist, darf ich es mitnehmen. Andere kommen nicht so glimpflich davon. Wasserflaschen und Feuerzeuge sind die geringsten Verstöße gegen die Sicherheitsvorschriften, aber es gibt auch einige „Fluggäste“, die versuchen, große Messer oder Drogen durchzuschmuggeln. Den Kontrolleuren entgeht (zum Glück) nichts.

Rollstuhlfahrer zögern bei einer Rampenneigung von sechs Prozent, hinunter geht es zu schnell und hinauf ist es viel zu anstrengend. (Foto: Heidi Diehl)
Rollstuhlfahrer zögern bei einer Rampenneigung von sechs Prozent, hinunter geht es zu schnell und hinauf ist es viel zu anstrengend. (Foto: Heidi Diehl)

Lange Wege und zu steile Rampen

Ich habe zwar noch genug Zeit bis zum Abflug, aber da ich nicht weiß, wie lange ich bis zum Abfluggate brauche, mache ich mich auf den Weg. Zumal der Duty Free nicht zum Shoppen einlädt, da er bislang noch eine einzige Baustelle ist. (Man kann nur hoffen, dass die Fertigstellung nicht auch so lange dauert, wie der Bau des Flughafens.) Etwa zwölf Minuten zu Fuß brauche ich zu meinem Gate, sagt mir die Anzeigetafel. Ein Miniflughafen ist der BER wirklich nicht. Die Berliner, die bislang in Tegel absolut kurze Wege gewohnt waren, werden sich sehr umstellen müssen.

Am Gate angekommen, treffe ich eine Reisende im Rollstuhl. „Gucken Sie sich nur mal die Rampen an der Fluggastbrücke an, die sind so steil, dass man beim Runterfahren aufpassen muss, keine Purzelbäume zu schlagen und beim Hochfahren einen gut trainierten Helfer braucht, der schiebt“, sagt sie. Die Mitarbeiterin am Gate beruhigt sie: „Alle Rollstuhlfahrer werden von erfahrenen und geschulten Mitarbeitern zum Flugzeug begleitet, da kann nichts passieren.“ Dennoch wird die Frau später in ihrem Testprotokoll vermerken, dass die Rampen mit einer Steigung von mehr als sechs Prozent steiler sind, als es das Gesetz erlaubt.

Ich habe Glück, bekomme noch einen Platz in der Maschine, werde auf Platz 2 A nach Grenoble reisen. Leider nur theoretisch, praktisch begebe ich mich nun zur Gepäckausgabe, wo ich meinem „Ereigniszettel“ folgend ankommend aus Southampton mein Gepäck vom Band holen soll, um danach sofort erneut – diesmal als Thaddaeus Bräuer – nach Hilversum einzuchecken, wohin ich mit Bulgarian Air fliege. Die Schlange vor dem Check-in ist endlos, nur ein Schalter ist besetzt. Das kostet Nerven!

Ich komme mit einer jungen Frau ins Gespräch. Sie erzählt, dass sie unbedingt bei den Tests als Komparsin dabei sein wollte. Sie sei ganz begeistert von dem Flughafen, der mit seinen riesigen Glasfronten und warmen Holztönen ein sehr heimeliges Flair verbreite. Als Kind habe sie mit ihren Eltern in vielen Städten der Welt gelebt, doch „so einen schönen Flughafen habe ich noch nirgendwo gesehen“, schwärmt sie. „Optisch ist der Flughafen wirklich toll“, sagt eine andere Frau, „den Eindruck hatte ich bereits vor neun Jahren, als ich schon einmal als Komparsin dabei war“. Und als wolle sie das beweisen, zieht sie einen Gutschein für die Besichtigung der Besucherterrasse hervor, den damals alle Freiwilligen als Dankeschön bekamen. „Der ist im Juli 2013 abgelaufen, ich will mal sehen, ob mir den jemand verlängert“, scherzt sie.

Anzeigentafeln geben Auskunft über Standort und den Andrang in den Sicherheitsbereichen. (Foto: Heidi Diehl)
Anzeigentafeln geben Auskunft über Standort und den Andrang in den Sicherheitsbereichen. (Foto: Heidi Diehl)

Der Check-in nach Hilversum zieht sich hin, langsam wird die Zeit knapp. Und dann das noch: Schlangen vor den Sicherheitskontrollen. Die Fluggäste werden unruhig, die Sicherheitsleute lassen sich davon nicht beeindrucken. Penibel kontrollieren sie. Dass zwei Sicherheitsbereiche geschlossen sind, interessiert niemanden: Kein Personal! Auf den letzten Drücker schaffe ich es zum Gate und in mein Flugzeug, das in diesem Fall ein Reisebus ist. Seit fast fünf Stunden dauert nun schon der Test an diesem heißen Tag, doch nun kommt für alle eine Überraschung. Wir „heben ab“, wenngleich nicht richtig. Doch als Dankeschön gibt es nun eine Besichtigungsrundfahrt über das Flughafengelände, die auch mit Speed über die Start- und Landebahn führt, ein Vergnügen, dass bald schon nicht mehr möglich sein wird.

Tester protokollieren alle Mängel

Für uns geht damit ein erlebnisreicher Tag zu Ende, die nächsten Komparsen werden andere Dinge testen, sodass am Ende alle Bereiche und Abläufe reibungslos funktionieren. Alles, was ihnen auffällt, werden die Tester am Ende ihres Probetages aufschreiben, damit die Mängel bis zum 31. Oktober beseitigt werden können. Auch „Nurettin Boller“ und „Thaddaeus Bräuer“ ist so einiges aufgefallen: So fehlen zum Beispiel Tische hinter den Sicherheitskontrollen, auf denen man seine sieben Sachen wieder sortieren kann. Bis jetzt muss man das an den Kontrollbändern tun, was zu einem ziemlichen Rückstau führen kann. Fast überall fehlen Anschlüsse, um Handys aufzuladen. Schuhlöffel im Security-Check wären hilfreich, sind aber noch nicht vorhanden. Das WLAN ist nicht stabil, zwar kommt man problemlos rein, doch es fällt immer mal wieder zusammen. An einigen Stellen ist die Ausschilderung nicht ausreichend. Die Griffe der Gepäckwagen, die man herunterdrücken muss, damit man den Wagen bewegen kann, lassen sich extrem schwer bewegen. Das alles sind eher Kleinigkeiten und sicher schnell zu beheben. Doch wie man es hinbekommen will, die viel zu engen Fahrstühle zu vergrößern, dürfte schon eher ein Problem werden.

Noch bleiben ein paar Tage, um alle Fragebögen auszuwerten, um Fehler abzustellen, um dann hoffentlich am 31. Oktober ohne Pleiten, Pech und Pannen an den Start zu gehen. Dann aber wird Berlin endlich einen Flughafen haben, der sich auch international sehen lassen kann.

BER-Chronologie

1992 Beginn der Planungen für BER-Flughafen

2006 Erster Spatenstich mit Hoffnung auf Eröffnung 2011

2010 Eröffnung wird verschoben auf 2012

2012 Eröffnung wird abgesagt wegen Problemen mit dem Brandschutz

2014 Verschiebung der Eröffnung auf unbestimmte Zeit

2019 Neuer Eröffnungstermin 31.Oktober 2020

Weiterführende Links

Wer sich über den neuen Flughafen BER informieren möchte, kann das hier tun. Auch wenn die Anzahl der benötigten Tester sich verringert hat, gibt es noch freie Plätze, für die man sich bewerben kann. Infos unter anderem zum Flugbetrieb der bisherigen Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld als dann auch in der Zukunft zum BER gibt es auf der Website der Berliner Flughäfen.

Für den Stern hat Till Bartels das „Jubiläum 3.000 Tage Nicht-Eröffnung“ des BER zum Anlass genommen daran zu erinnern, dass Berlin und Deutschland sich mit dem Bau des BER nicht gerade mit Ruhm bekleckert habe. Im Tagesspiegel hat Bernhard Schulz einen intensiven Blick auf die Architektur des BER geworfen.

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