Der hohe Norden lockt – Einmal Havenwelten, bitte!

Bremerhaven - Foto: Gerd Krauskopf
Bremerhaven - Foto: Gerd Krauskopf

Bremerhaven: zuerst Weltreise, dann Emigration – und im Herbst 2021 Ort der Jahreshauptversammlung der VDRJ. Cornelia Lohs hat sich dort schon einmal umgeschaut. Was sie dabei erlebt hat? Dass dank Klimahaus eine Reise um die Welt gerade mal vier Stunden dauert, Klimawandel inklusive. Warum einst so viele Menschen aus Europa flüchteten, erklärt dagegen die „Galerie der 7 Millionen“ im Auswandererhaus.

von Cornelia Lohs

Meine Reise um den Globus entlang des achten Längengrades Ost beginnt auf Bahngleisen, die in die Schweiz führen. Kuhglockengeläut dringt aus Lautsprechern an den Wänden. Erste Station ist das Bergdorf Iserthal im Kanton Uri, wo der Hof der Infangers durch abschmelzende Gletscher bedroht wird. Treppen führen hinauf zu einem Bergmassiv, eine Brücke über den Gletscher. Eisig ist es hier oben. Nur schnell weg und runter ins Tal zur Gondel nach Sardinien. 

Der kurze Flug über die Alpen ist ganz schön wackelig. Ankunftsterminal ist die Welt der Insekten. In Terrarien krabbelt, kriecht und schwimmt es, die Luft ist erfüllt von Gesumme, Gezirpe und Gezwitscher. In einem der Nebenräume weht der Schirokko mir fast den Hut vom Kopf, im angrenzenden Raum riecht es nach Waldbrand. Von Familie Morrho erfahre ich, wie der Klimawandel das Leben auf der süditalienischen Insel verändert. 

Durch einen Korridor am Meer, an dessen Wänden sich die Wellen brechen, gelange ich zu den Tuareg im afrikanischen Niger, wo mich eine Horde feixender Kinder willkommen heißt. Als ich auf Geheiß die Worte „Alkhêr ghas“ ausspreche, öffnet sich das Tor zur Sahara. Hier ist es heiß und trocken. „Kochen, das Essen zubereiten, die Ziegen versorgen und Wasser holen, das sind meine Aufgaben“, erzählt Mariam, eines der Kinder. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, zur Schule zu gehen. Nur, es gibt keine, und wenn es eine gäbe, bliebe ihr der Besuch versagt, denn „nur wenn alle mithelfen, können wir Tuareg hier überleben“. Auf Bildschirmen laufen Filme über das Leben in der Wüste. 

Von der „Heißzeit“ in die „Eiszeit“

Ein Fahrstuhl bringt mich hinunter in den Regenwald von Kamerun, wo mir tropische Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit entgegenschlagen. Einheimische singen und tanzen. Auf weichem Boden gelange ich durch das dunkle Urwald-Labyrinth zu einer Flusslandschaft voller Fische und Pflanzen, über die eine Seilbrücke gespannt ist. Ich balanciere hinüber und überquere den Fluss von der anderen Seite auf Steinen. Letzter Ort des zentralafrikanischen Landes ist ein Markt, auf dem es hämmert und klopft.

Ein Schiffshorn tutet. Die Reise geht weiter in die 8560 Kilometer entfernte Antarktis, ins Königin-Maud-Land. Minusgrade herrschen in dem fast drei Millionen Quadratkilometer großen Gebiet, das seit 1939 von Norwegen beansprucht wird. Nach der tropischen Hitze für ein paar Sekunden zwar eine willkommene Abwechslung, aber dünn bekleidet, wie ich bin, Grund für die schnelle Flucht in die wärmere Forschungsstation „Neumayer III“ des Alfred-Wegener-Instituts. 

Vom Tropensturm bis zur Nordsee

Eine Wendeltreppe schlängelt sich hinauf in einen funkelnden Sternenhimmel, wo mich am Ende des Korridors ein Sonnenuntergang begrüßt. Dahinter liegt das Inselparadies Samoa mit original nachgebauter Bucht, Strandhütte und viel Sand. In einem kleinen Rundbau erlebe ich einen Tropensturm. Es blitzt und donnert. Mit gewaltigem Tosen schlagen die Wellen an den Strand. Der Zyklon, der mit 185 Meilen die Stunde über die Insel fegt, bringt Häuser zum Einsturz und wirbelt Autos und alles was nicht niet- und nagelfest ist durch die Luft. Ein Ventilator an der Decke, der Wind erzeugt, der Film über den Zyklon und das Getöse aus den Lautsprechern geben mir das Gefühl, mich selbst mitten im Sturm zu befinden. 

Wenig später führt mich ein dunkler Tunnel durch die Tiefsee. Es blubbert, gurgelt und plätschert von allen Seiten. Auf dem Weg liegt ein Haufen Plastikmüll, aus dem die Schwanzflosse eines Wals ragt. Jährlich landen bis zu zwölf Millionen Tonnen davon im Meer. 

Ungewöhnliche Perspektiven

Die Reise neigt sich dem Ende entgegen. Vorletzte Station ist St. Lawrence Island in Alaska, wo es mit den Yupik-Eskimos auf die Jagd geht. Da der Boden im nördlichsten Staat der USA für den Baumwuchs zu kalt ist, warfen die Yupik in vergangenen Zeiten eine Person mit Hilfe von gespannten Walross-Häuten in die Luft, um Ausschau nach Tieren zu halten. Für viele gelten sie als Erfinder des Trampolins. Hinter einem Schild entdecke ich ein Trampolin und springe, da außer mir keiner im Raum ist, nach Herzenslust. Es ist eigentlich für Kinder gedacht, aber die 60 Kilogramm Maximalgewicht unterschreite ich allemal.

Letzte Station vor der Rückkehr nach Bremerhaven ist die Hallig Langeneß vor der Nordseeküste Schleswig-Holsteins, wo steigende Meeresspiegel das Thema sind. Die vierstündige Reise ist viel zu schnell zu Ende gegangen. Kaum sonst irgendwo habe ich in einer Erlebniswelt in so kurzer Zeit so viele Menschen aus den entlegensten Winkeln der Erde getroffen, die mir aus ihrem Alltag erzählten und darüber berichteten, wie das vorherrschende Klima ihr Leben beeinflusst. 

Abenteuer Emigration

Von den Klimazonen der Erde gehe ich nun im nahen Auswandererhaus auf eine Zeitreise ins 19. und frühe 20. Jahrhundert. Ich bekomme einen Boarding Pass mit dem Namen tatsächlicher Auswanderer, der Familie von Lebin Weckesser. Die Reise beginnt im Raum „Abschied“, einem Wartesaal der 3. Klasse. Zahlreiche Menschen stehen vor einer hoch hinaufragenden Schiffswand und warten aufgeregt darauf, dass sie an Bord gehen dürfen. Von allen Seiten lärmt und hämmert es, an den Wänden stapeln sich Fässer und Kisten, zwischen den Menschen stehen Koffer, Truhen und Körbe. Wer waren sie, woher kamen sie, warum sind sie gegangen? 

Mehr als sieben Millionen Menschen emigrierten zwischen 1830 und 1974 über Bremerhaven, dem damals größten Auswandererhafen des europäischen Festlandes. Die Weckessers haben den Hafen am 20.11.1926 mit dem Schiff Sierra Cordoba 2 mit dem Ziel Buenos Aires verlassen. Lebin kam wenige Wochen nach der Ankunft in der argentinischen Hauptstadt zur Welt. 

Galerie der 7 Millionen

Durch Aktivierung der iCard, die im Boarding Pass steckt, kann ich in der „Galerie der 7 Millionen“ Informationen abrufen, in denen ich mehr über die Weckessers, ihre Ängste und Hoffnungen erfahre.

Im Gepäckraum finde ich Informationen über das Schiff, das die Weckessers nach Argentinien brachte. Ihre Unterkunft lag in der 3. Klasse in Mehrbettkabinen, die nach Geschlechtern getrennt waren. In der originalgetreuen Nachbildung einer solchen stehen Stockbetten, in denen bis zu 18 Personen Platz haben. Lebensgroße Puppen liegen darin. Aus Lautsprechern hustet es, draußen auf hoher See stürmt es. Angenehm war die Reise auf so beengtem Raum hochschwanger garantiert nicht. Über Telefonhörer erzählen mir Emigranten von der Überfahrt.

Als Argentinien-Auswanderer blieb den Weckessers Ellis Island, Ankunftsort der Emigranten mit dem Ziel USA, erspart. In der Sammelstelle für Immigranten entschied die Einwanderungsbehörde nach strengen Befragungen durch Inspektoren, wer ins Land durfte. Viele Amerikaner klagten, dass Einwanderer ihnen die Jobs wegnähmen, die Löhne drückten und für steigende Kriminalität sorgten. Deutsche Immigranten galten als schlecht integrierbar, da sie kaum Englisch sprachen. 

Auf den Spuren der Vorfahren

Im Raum der Nachfahren gibt es Informationen über den weiteren Lebensweg des bei der Ankunft in Argentinien noch nicht geborenen Lebin Weckesser. 

In der Familienforschung mache ich mich an einem Computer auf die Suche nach der Großmutter mütterlicherseits meines amerikanischen Ehemannes, die aus der damaligen zu Österreich-Ungarn gehörenden Provinz Galizien in die USA ausgewandert ist. Ich kenne weder ihr Geburtsdatum, noch das Jahr ihrer Auswanderung, noch weiß ich, ob sie Europa überhaupt über Bremerhaven verlassen hat. Ich gebe Geburtsnamen und Geburtsort ein und finde sie doch tatsächlich innerhalb von wenigen Minuten. 

Der Traum von Freiheit

Am Tor zur neuen Welt, an der Stelle, wo zwischen 1830 und 1974 über sieben Millionen Auswanderer das Land verließen, steht seit 2018 das Themenhotel „The Liberty“. Zwei Drittel der 93 Zimmer bieten einen Blick auf die Wesermündung, die Skyline der Havenwelten und das Auswandererhaus. Das fünfgeschossige Gebäude stammt aus der Feder des Architekten Andreas Heller, der auch das Auswandererhaus entworfen hat. 

Das Thema des Hotels, die Emigration, ist allgegenwärtig. In den Zimmern und auf den Fluren hängen großformatige Schwarzweißfotografien mit Ozeandampfern, Gesichtern von Auswanderern und den Häuserschluchten von New York. Der Ostküstenmetropole begegnet man im Hotel immer wieder. So wurde das Restaurant nach der Mulberry Street in Downtown Manhattan benannt; die Bar im Dachgeschoss trägt den Namen der Stadt, die für so viele Auswanderer Sehnsuchtsziel war. 

Das Hotel selbst erinnert an ein Schiff – das Erdgeschoss ist so schwarz lackiert wie der Rumpf eines Ozeanriesens, und die um das Gebäude laufenden Balkongeländer zum Wasser hin ähneln einer Reling, die weitläufige Terrasse im fünften Stock einem Schiffsdeck. Jedes Zimmer mit Wasserblick hat Sicht auf den alten Leuchtturm, das letzte Gebäude, das die Menschen sahen, die Europa für immer verließen. 

Aussenansicht Hotel The Liberty - Bildquelle: Lennart Duden
Aussenansicht Hotel The Liberty – Bildquelle: Lennart Duden

Weiterführende Informationen

Inspirationen für den Besuch der Seestadt und der Havenwelten, dem maritim geprägten „neuen“ Stadtviertel im Bereich Alter und Neuer Hafen, bieten www.logbuch-bremerhaven.de und www.bremerhaven.de.

Wissenswertes zu den Attraktionen Klimahaus Bremerhaven 8° Ost und Deutsches Auswandererhaus, das sich mit seinem jüngsten Ausstellungsbereich ergänzend dem Thema Einwanderungen widmet, liefern  www.klimahaus-bremerhaven.deund www.dah-bremerhaven.de.

Informationen zum Hotel gibt‘s unter www.liberty-bremerhaven.com.

„Ausblick“

Höher geht’s nicht. Zumindest nicht in Bremerhaven. Die täglich geöffnete Aussichtsplattform des segelförmigen „Atlantic Hotel Sail City“, das wie der kleine Bruder des „Burj al Arab“ in Dubai aussieht, ist mit seinen 147 Metern aber nicht halb so hoch wie dieses.

Doch das Gebäude bietet im 20./21. Stockwerk einen atemberaubenden Panoramablick über die Stadt, die Weser und die Nordseeküste. Zu Füßen liegen dem Besucher die Havenwelten, der Fischereihafen und die Überseehäfen. Sail City liegt gleich neben dem Klimahaus.

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1 Kommentar

  1. Wunderbar beschrieben, liebe Cornelia Lohs.
    Das sind schon drei „Big Points“ unserer Havenwelten, die Sie so lebendig beschrieben. Vielen Dank!
    Herzliche Grüße von der Küste
    Dörte Behrmann
    Pressereferenti Erlebnis Bremerhaven GmbH

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