Bedrohung und Bedrückung

Jürgen Drensek

Mir geht es wahrscheinlich so, wie den meisten Reise-Journalisten in diesen Tagen. Mittlerweile brauchen wir einen eigenen Ordner im Mailprogramm für all die Einladungen und Info-Mails zur ITB. Die ganze touristische Welt, dieses Mal sogar mit dem Vatikan, präsentiert sich ab dem 9. März wieder mal in Berlin und buhlt um Aufmerksamkeit. Der begleitende Kongress mit so vielen interessanten Keynotes und Diskussionen, die sich meistens zeitlich überschneiden in den parallelen Veranstaltungsorten, wird für Fachbesucher zur harten Konkurrenz zu den bunten Messehallen. Und all das, um wieder für das Urlaub-Machen zu trommeln, das so viele Millionen Menschen weltweit  zu Lohn und Brot verhilft.
Und doch trieft dieses Jahr die Nervosität aus fast jeder PR-Meldung. 2016 wird kein Selbstläufer als Reisejahr. Was am Anfang noch als Laune erschien, dass die Gäste sich mehr Zeit lassen mit ihrer Entscheidung, wächst sich zunehmend aus als massives Buchungsproblem.

Zur Ursachenforschung braucht man nur auf das eigene Bauchgefühl zu hören, selbst als Profi-Beobachter des Tourismus. Wie geht es einem nach den Nachrichten-Sendungen derzeit oder der ausführlichen Lektüre einer Zeitung? Selbst wenn man persönlich gar nicht direkt tangiert ist, und objektiv betrachtet nach wie vor auf einer Insel der Seeligen lebt mit gutem Wohlstand und ohne konkrete Bedrohung. Man fühlt sich irgendwie mulmig und beileibe nicht voller Urlaubsvorfreude.
Vor allem diejenigen, die klassische Sonnenziele rund ums Mittelmeer bevorzugen oder sogar in exotische Ferne schweifen. Aber selbst die Deutschland-Fans, und sie sind nach wie vor die weitaus größte Gruppe aller Urlauber, sind angesichts der hässlichen Fratze des Fremdenhasses, die immer stärker auch in touristischen Regionen grassiert, mehr als verunsichert über die Gastgeber-Qualitäten der dort lebenden Menschen. Gestalten, die den Weckruf „Wir sind das Volk“ derart pervertieren, möchte man einfach nicht begegnen. Die sind genauso unappetitlich, wie islamische Eiferer in Ferienregionen, die man trotz unterschiedlicher religiöser Ausrichtung immer als tolerant empfand mit hoher Willkommenskultur.
Im Gegensatz zur Reiseanalyse, die bereits vor über einem Monat zum Schluss kam, auf Grund ihrer Befragungen würde es letztendlich ein gutes Reisejahr mit Zuwächsen um die 4 Prozent, sind die Hamburger Kollegen der BAT Stiftung für Zukunftsfragen weitaus skeptischer. Das Zahlenmaterial ihrer Reisebilanz interpretieren sie so, dass die Reiseintensität und auch die Lust am Urlaub bei den Deutschen nachlässt. Vor allem bei den Älteren – aus Angst – und den Jüngeren – denen ein teurer Urlaub nicht mehr so wichtig zu sein scheint, wie die Erfüllung von Konsumträumen und Alltags-Amüsement.
Momentan muss man feststellen, dass die touristische Industrie noch überhaupt keinen Plan hat, wie sie mit Bedrohung und Bedrückung umgehen soll. Für eine kleinstteilig organisierte Branche mit internationalen Partikular-Interessen ist es fast auch unmöglich, sich aus der Rolle des reagierenden in die des strategisch vorausdenkenden Marktteilnehmers zu entwickeln. Letztendlich versucht man mit dem ältesten aller Verkaufsförderungs-Instrumente die Sache irgendwie zu richten: durch den Preis. Das mag kurzfristig funktionieren, aber wer glaubt, das momentan mulmige Bauchgefühl sei ein emotionaler Ausrutscher, hat ein mehr als sonniges Gemüt. Nicht nur Veranstalter sind eine Marke. Auch die Zielgebiete. Aber jede Wette: auch auf der 50. ITB in den Messehallen wird die neue Realität wieder wunderbar hinter alter Reklame versteckt. Sorgen sind bitte an der Garderobe abzugeben. Last uns bunt und brüderlich feiern…

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