Vom Schreiben übers Reisen leben

Zeitungen und Magazine am Kiosk; Foto: Sonja Sahmer
Zeitungen und Magazine am Kiosk; Foto: Sonja Sahmer

Reiseteile werden zusammengelegt oder eingestellt, auch die Auflagen der Magazine schrumpfen. Was können freie Reisejournalisten jetzt tun, um der Untergangsstimmung zu trotzen und sich für die Zukunft aufzustellen?
Tobias Sauer hat Antworten darauf gesucht

Die Krise der Tageszeitungen ist auch im Reisejournalismus mit Händen zu greifen. In den vergangenen Jahren hat die Zahl der selbstständigen Reiseredaktionen stark abgenommen. Haben die Verlage zu Beginn des Jahrtausends noch rund 150 unabhängige Reiseteile herausgebracht, ist diese Zahl mittlerweile auf unter 100 gesunken, beobachtet Hans-Werner Rodrian von der Journalistenpartnerschaft SRT (siehe Kasten „Friedhof der Reiseteile“).

Ein Grund: Nach Übernahmen versuchen Verlage, Kosten zu sparen. Und da scheint es besonders einfach zu sein, gerade die Reiseteile und nicht etwa die Lokalredaktionen zusammenzulegen.

Der Untergangsstimmung trotzen

Grundsätzlich aber spiegelt die Entwicklung im Reisejournalismus die des Marktes im Allgemeinen: Alle Journalisten sehen sich mit sinkenden Auflagen und Verlagsübernahmen konfrontiert, denen oft genug gestrichene Stellen und schrumpfende Budgets folgen. Sollten sich angesichts dessen die freien Reisejournalisten also schleunigst einen neuen Job suchen? Nicht unbedingt. Die Grenzen des Marktes lassen sich zwar nicht ohne weiteres verändern, dennoch gibt es Möglichkeiten, sich dem verändernden Markt anzupassen.

Früher war auch nicht alles super

Gegen Panik und Fatalismus hilft auch ein Blick zurück: Für freie Journalisten war es, von Ausnahmen abgesehen, noch nie möglich, alleine durch das Schreiben von Reisereportagen für die Tagespresse zu Vermögen zu kommen. Schon in der Frühzeit der Reiseressorts setzten die Verlage oft genug auf Autoren, die von ihren Honoraren nicht abhängig waren. Daran hat sich bis heute wenig geändert: Nach wie vor kann man in den wenigsten Fällen von diesen Honoraren leben oder gar eine Familie ernähren.

Sinnvoll erscheint es deshalb, in regelmäßigen Abständen aus dem Arbeitsalltag zurückzutreten und nüchtern die Wirklichkeit zu betrachten: Wie entwickelt sich der Markt? Gibt es feste Stellen, die besonders interessant sind? Welche Trends machen die Runde? Wo kann ich meine Kompetenzen einbringen? „Ich glaube, es lohnt sich für freie Autoren einige Zeit zu investieren, um sich genau zu überlegen, wie man sich wirtschaftlich geschickt aufstellt“, rät Antje Blinda, Teamleiterin Reise vom Spiegel.

Spezialisierung statt Generalistentum

Wie für alle Journalisten gilt auch im Themenfeld Reise: Wer tiefer blickt, sieht mehr – und kann bessere Geschichten anbieten. Generalisten haben es deshalb schwerer als Spezialisten.

Denn nur Experten kennen ihr Themenfeld so gut, dass sie auf Anhieb journalistisch Relevantes erkennen können. Was ist neu, was ist besonders, was verändert sich? Welche Entscheidungen auf politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Ebene stehen bevor, die für Aktualität sorgen können? Welche Jahrestage könnten als Berichtsanlässe dienen? Welche Experten sind wofür und wann geeignete Interviewpartner?

Wer die Materie gut kennt, kann Redaktionen mit ungewöhnlichen Themenideen überraschen – und im Bedarfsfall schneller reagieren. Die Sorge, sich zu spitz aufzustellen, ist in den meisten Fällen unbegründet. Denn die Spezialisierung dient vor allem als Schaufenster. So wie ein Warenhaus nicht alle angebotenen Produkte dort präsentieren kann, haben auch freie Journalisten noch mehr auf Lager – und stellen diese Kompetenzen bei Bedarf gerne vor.

Über den Tellerrand hinaus denken

Ausgehend von der eigenen Spezialisierung erschließen sich oftmals neue Publikationsmöglichkeiten auch außerhalb der klassischen Reiseressorts. „Warum“, fragt der Journalist und Dozent Peter Linden, „sollte eine fantastische Reisegeschichte nicht im Feuilleton, im Sportteil oder auf der Seite 3 stehen?“. Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt: Eine Reportage über eine historische Eisenbahnverbindung könnte auch der Mobilitätsredakteurin angeboten werden, die Geschichte über den ausgewanderten Modeschöpfer auch der Lokalzeitung in dessen Heimatort.

Und die Umweltjournalistin, die über das neue Naturschutzgebiet in Südostasien schreibt, kann diesen Text neben der Tageszeitung auch dem Special-Interest-Magazin für die umweltbewusste Zielgruppe anbieten. Expertenwissen lässt sich nicht nur in der Publikums- und Fachmedien, sondern gelegentlich auch darüber hinaus verwerten: Bei Buchprojekten zum Beispiel, oder möglicherweise als Gast(-Referent) bei Veranstaltungen wie etwa den Rahmen- oder Seminarprogrammen von Freizeit- und Reisemessen, die ihren Besuchern vielfach Extras anbieten.

Trends erkennen und nutzen

Moden gibt es nicht nur auf den Fashion Weeks in Mailand, New York oder Paris, sondern auch im Journalismus.

Am Puls der Zeit zu bleiben, kann sich auszahlen. Wer den jeweils großen Fragen nachspürt, findet Möglichkeiten, diese auch aus dem Blickwinkel des Tourismus zu betrachten, von Migration („Auf den Spuren deutscher Auswanderer“) bis zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz („Wie soll/darf/kann man heute noch reisen?“).

Auch stilistisch weht immer wieder ein frischer Wind durch die Redaktionen: Wer konstruktive, lösungsorientierte Geschichten schreiben kann, findet aktuell Publikationen, die sich eigens diesem Ansatz gewidmet haben. Daneben, meint Peter Linden, schade es nie, an den eigenen Fähigkeiten zu feilen. So lange in den Reisepublikationen erzählender Journalismus das Angebot dominiert, sei es sinnvoll, sich regelmäßig mit dem eigenen Schreibstil zu beschäftigen und zu überlegen, wo und wie man die besten Protagonisten trifft und besondere und spannende Geschichten einfängt.

Es gibt mehr als nur Print

Die Welt ist groß – und bunt. Nicht nur Tageszeitungen und die schier unüberschaubare Magazinwelt, auch Radiosender haben Bedarf an Features aus aller Welt, ob nun für dezidierte Reisesendungen oder andere Formate im Programm. Viele Medienhäuser experimentierten online, zum Beispiel mit Instagram- und Snapchat-Stories – vielleicht ist gerade jetzt der beste Moment, sich mit TikTok zu beschäftigen. In Bewegung zu bleiben und sich auf Fortbildungen oder Seminaren mit neuen Mediengattungen auseinander-zusetzen, kann deshalb nicht nur Spaß machen, sondern auch zusätzliche Einkommensquellen erschließen.

Unternehmerisch denken

Freie Journalisten müssen sich am Markt behaupten. Dazu gehört, in Verhandlungen mit Auftraggebern ein angemessenes Honorar zu erzielen (oder den Auftrag abzulehnen, falls dies nicht möglich ist). Doch erstaunlich häufig verhandeln freie Autoren gar nicht über das zu zahlende Honorar. Stattdessen warten sie dankbar ab, was der Verlag nach der Veröffentlichung wohl aufs Konto überweisen wird.

Und immer wieder führt eine Recherchereise von einer Woche Dauer zu einer einzigen Veröffentlichung bei einem einzigen Medium. Dass angesichts des Zeitaufwands dafür die meisten Honorare nicht ausreichend sein können, versteht sich von selbst. Auch wenn das Thema Geld von einem Tabu behaftet ist („Über Geld spricht man nicht.“) sollten freie Journalisten ihre Scheu überwinden, sich zum Beispiel auf Seminaren mit Verhandlungstaktiken zu beschäftigten und ihre Erfahrungen zu teilen. Denn nur wer den Marktpreis kennt, kann bei Verhandlungen mit Redaktionen und Verlagen auf Augenhöhe kommunizieren.

Die Zusammenarbeit suchen

Während sich manche dieser Maßnahmen alleine umsetzen lassen, kann bei vielen Themen der kollegiale Austausch helfen. Niemand hat Zugang zu allen Redaktionen und niemand kann die üblichen Honorare aller Medien kennen, aber die Kollegin oder der Kollege kennt vielleicht gerade von dieser oder jener besonders interessanten Publikation die Redaktion und die aktuellen Honorarsätze. Gemeinsam sind wir stärker, können von positiven Erfahrungen berichten und uns bei Problemen warnen. Und vielleicht helfen Austausch und Zusammenarbeit deshalb in diesem bisweilen schwierigen, an sich aber fantastischen Beruf auch bei Einem: Optimistisch zu bleiben.

Konzentration der Reiseteile in deutschen Medienverbünden

Die Funke-Mediengruppe hat ihre Reiseteile komplett outgesourct. Zu Funke gehören unter anderem die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), das Hamburger Abendblatt, die Berliner Morgenpost, die Braunschweiger Zeitung und die Thüringer Allgemeine. Dienstleister ist die Raufeld Medien GmbH in Berlin.

Die Madsack-Mediengruppe lässt die Reiseteile der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und der Neuen Presse von der RND Redaktionsnetzwerk Deutschland GmbH (RND) in Hannover erstellen. Zum RND gehören: Aller Zeitung, Deister- und Weserzeitung, Dresdner Neueste Nachrichten, Eichsfelder Tageblatt, Gifhorn, Göttinger Tageblatt, Hannoversche Allgemeine Zeitung, Hildesheimer Allgemeine Zeitung, Kieler Nachrichten, Leipziger Volkszeitung, Lübecker Nachrichten, Märkische Allgemeine, Neue Presse Hannover, Ostsee Zeitung, Peiner Allgemeine Zeitung, Schaumburger Nachrichten und Wolfsburger Allgemeine.

Die Reise-Redaktion der Stuttgarter Nachrichten/Stuttgarter Zeitung produziert die Beilage „Wochenende – Das Magazin von Sonntag Aktuell“. Diese wird auch anderen Zeitungen der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH), zum Beispiel der Südwest Presse, beigelegt und identisch oder in Teilen in der Rheinpfalz am Sonntag und in der Pirmasenser Zeitung abgedruckt. Auch der Mannheimer Morgen übernimmt jede Woche bis zu sieben Reiseseiten aus diesem Pool. Seit Mitte September 2019 kooperieren die Stuttgarter Nachrichten/Stuttgarter Zeitung mit der Mittelbadischen Presse (Offenburger Tageblatt mit verbundenen Zeitungen). Übernommen wird der überregionale Mantel inklusive Reiseseiten. Seit Januar 2020 nutzt nun auch die Esslinger Zeitung das Angebot.

Die Reisezeit ist eine Mischung aus Anzeigen- und Redaktionsgemeinschaft. Die in Kassel produzierte Reisezeit Mitte wird unter anderem von der Hessischen Niedersächsischen Allgemeine (HNA, Kassel) und der Gießener Allgemeine genutzt. Die Reisezeit West wird von der Redaktion des Westfälischen Anzeigers in Hamm für mehrere Titel produziert.

Die Reisezeit Nord wird von NOW Medien GmbH & Co. KG, Agentur des Medienhauses der Neuen Westfälischen (NW) und der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) in Bielefeld, unter der Leitung von Patrick Schlütter für alle Titel der Zeitungsgruppe Neue Westfälische produziert. Die Redaktion der Neuen Westfälischen Zeitung liefert ihren Reiseteil auch an das Flensburger Tageblatt (Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag) und an die Schweriner Volkszeitung.

Quelle: Pressehandbuch Touristik Medien 2020

Friedhof der Reiseteile 2019

Am 31. Januar letzten Jahres sind der Reiseteil des Flensburger Tageblatts und der Schweriner Volkszeitung gestorben (liefert jetzt für beide die Neue Westfälische Zeitung, s.o.). Am 31. Mai verschied dann der Reiseteil des Hamburger Abendblatts (kommt nun von Raufeld Medien). Zuletzt verstarb am 14. September der Reiseteil des Offenburger Tageblatts/Mittelbadische Presse (wird nun komplett von den Stuttgarter Nachrichten/Stuttgarter Zeitung übernommen).
Zusammenstellung: Hans-Werner Rodrian

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