Storytelling ist dabei, ein Gold-Standard zu werden für moderne Marken-Kommunikation. Nicht mehr die platte Werbe-Botschaft führt zum Ziel: mit Motiven, die so wirken, als seien sie aus dem Setzkasten der Klischeebilder willkürlich zusammengemixt und recycelt worden. Was zählt, ist die emotionale Geschichte, die sich rund um das Produkt webt und einen möglichst authentischen Erzähler hat.
Im Reiseradio spreche ich mit Jochen Schmidt, dem Chef der Agentur Intensive Senses, die sich selbst als „Manufaktur für digitales Marketing“ versteht, über die Zunahme von Storytelling im Bereich des Content-Marketings. (Hier geht’s zum Interview).
Versteckte Werbebotschaften
Wir alle lieben Geschichten, gute Geschichten. Und solche zu erzählen, mit allen zur Verfügung stehenden medialen Mitteln, war auch für mich die Triebfeder, den Beruf des Journalisten zu erlernen. Die recherchierten Fakten so zu verpacken, dass man sie mit Vergnügen konsumiert.
Von daher ist das Geschichten-Erzählen, oder, wie man heute eben so sagt, das Story-Telling, eigentlich ein urjournalistisches Thema.
Eigentlich. Denn wir (Reise)-Journalisten erleben gerade, wie die Werbe- und PR-Branche den Begriff quasi für sich kapert.
Geschichten werden eingebunden in eine Content-Marketing-Strategie. Also in eine Art redaktioneller Planung. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied: hier gibt es keine Redaktion, die sich dem Wohl und der Information des Medien-Nutzers gegenüber verantwortlich fühlt, sondern nur dem Auftraggeber aus der Industrie.
Man könnte es auch anders sagen: Die schönen, und manchmal auch hochprofessionellen Geschichten, die hier erzählt werden, dienen nur einem Zweck. Die Werbebotschaft soll so versteckt werden, dass der Adressat sie nicht mehr als solche wahrnimmt. Im Idealfall ist alles so emotional positiv aufgeladen, dass nach der Lektüre oder dem Seh-, oder Hörvergnügen, der Call to action, also der Kaufimpuls, als ureigene Entscheidung angesehen wird.
Storytelling: ein trojanisches Pferd?
Das Trojanische Pferd „Storytelling“ oder „Content-Marketing“ liesse sich nüchtern auch umschreiben mit dem eher juristisch bedeutsamen Wort „Schleichwerbung“.
Das ist das Spannungsfeld, in dem der klassische Reisejournalismus gerade steckt. Haben die gedruckten Reiseteile oder ihre elektronischem Pendants noch ihre traditionelle Relevanz für eine Urlaubsentscheidung? Oder ist es dem medienaffinen Nutzer mittlerweile egal, wie sehr er manipuliert werden soll – weil er angeblich clever genug ist, sich die für ihn relevante Information aus jeder Vorlage heraus zu puzzeln?
Letztendlich ergeht es dem Reisejournalismus damit nicht anders, als dem touristischen Vertrieb oder der Branche insgesamt: der Nutzer muss da abgeholt werden, wo er sich etabliert hat und die Möglichkeit des „sowohl, als auch“ genießt.
Die journalistische Reise-Reportage wird ihre Berechtigung behalten, neben dem persönlichen Blogger-Bericht oder dem gelenkten Storytelling. Selbst die unverhohlene Influencer-Werbung hat ihren Nischenplatz bei denen, die Entscheidungen abhängig machen nicht von Fakten, sondern von der Zugehörigkeit zu einer Vorbild-Gruppe.
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