Auch wenn sich die Manager der Urlaubsindustrie momentan eher die Frage stellen, warum die Deutschen immer noch so etwas muffelig sind beim Buchen, zögerlicher als andere Quellmärkte, obschon doch so reiseerfahren…, muss man die Antwort vielleicht auf eine ganz andere Metaebene hieven. Es ist eben nicht nur eine latente Angst. Oder nennen wir es etwas neutraler, das Unwohlsein. Die unsichere Weltlage ist vielleicht lediglich ein Katalysator, der grundsätzliche Gedanken deutlich sichtbarer werden lässt. Die großen Wirtschaftsverbände fokussieren sich natürlich auf das Naheliegende und geben die Losung aus: Die Reiselust ist ungebrochen. Die Wirtschaftslage der Deutschen sei gut, persönlich schauten die meisten optimistisch in die Zukunft, und die Industrie habe genügend Ersatzziele, um Krisengebiete zu umgehen.
Ist die Lust am Reisen aber wirklich ungebrochen? Also zumindest an der konfektionierten Landverschickung Marke Sonne, Sand und Spaß? Trendforscher beobachten seit Jahren eine leise Verschiebung bei der Motivation. Sie ist noch nicht signifikant, wenn man sich den Volumenmarkt anschaut, aber sie könnte ein Zeichen sein für einen Paradigmenwechsel, was der Urlauber von seinen Ferien erwartet. Die kluge Reiseanalyse mit ihren zahlreichen Befragungen formuliert es noch etwas grob: die Reisenden suchen vermehrt angenehme Gefühle, schöne Erlebnisse und positive Effekte. Glücksmomente eben.
Das hört sich nicht sonderlich revolutionär an. Erholung vom Alltag war immer schon ein starkes Motiv. Nur jetzt wird der Alltag anscheinend immer umfassender wahrgenommen. Es ist nicht mehr reduziert der Arbeitsalltag, der als Antipode zur Glückseligkeit der Ferientage steht. Das ganze Lebensumfeld erscheint vielen Menschen immer bedrohlicher und überfordernder. Früher konnte man es noch einfach definieren: wer 45 Arbeitswochen in gepflegter Monotonie hinter sich gebracht hat, der war reif für den Partymarathon oder den Abenteuerurlaub. Endlich wieder den Erlebnis-Pegel auffüllen. Und wessen Job hyperstressig war, der suchte die extreme Entschleunigung. Bestes Beispiel: Ex-Kanzler Kohl und seine jahrzehntelange Sommerfrische am ziemlich unspektakulären Wolfgangssee.
Was passiert aber mit der Urlaubsmotivation, wenn sich immer mehr Menschen permanent gestresst fühlen durch sie überfordernde gesellschaftliche Entwicklungen, durch die Weltlage, den Information-Overflow und die Kehrseite des globalen Netzes, das es an sich hat, aus jeder Nichtigkeit und kruden Theorie einen sich selbst ernährenden Aufreger zu produzieren? Ist dann noch Benidorm die Alternative zum Alltag oder die All Inclusive Anlage in Bodrum?
Wer aufmerksam die Trends beobachtete, die dieses Jahr auf der ITB ganz unkoordiniert vorgestellt wurden, der entdeckte eine wundersame Übereinstimmung. Zurück zur Schlichtheit, zum Nichtstun, zum Cocooning für die Seele, zur Erfahrung, statt zum Erlebnis.
Die neue Attraktion scheint die Nicht-Attraktion zu sein. Und das ist kein Slogan der zu kurz gekommenden, die weder mit Landschaft noch mit Events punkten können, nicht der Investitions-Verweigerer für immer aufwändigere Wellness-Oasen, und auch nicht der einfältigen Amateure in vielen ländlichen Tourismus-Organisationen, die seit Jahren immer nur alten Wein in alten Schläuchen zu vermarkten versuchen.
Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass die Kontemplation immer mehr um sich greift, auch bei denen, die dieses Wort gar nicht kennen, dann hat das Volumengeschäft der Veranstalter tatsächlich langfristig ein Problem. Dann geht es nicht mehr darum, ob die gerade zurückhaltender Buchenden nur umgeroutet werden müssen oder mit Günstigpreisen gelockt. Wer sich auf sich selbst konzentrieren möchte, um seelisch aufzutanken, braucht vielleicht gar keine klassischen Ziele mehr. Die Blumenwiese oder den Badesee gibt es ganz nah. Und im schlimmsten Fall Balkonien. Das wäre dann eine ungebrochene Reiselust ohne Reise. Und ein Stresstest für die Ferienmacher.
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