Eine Gratwanderung – Ein Beitrag über Palästina will gut vorbereitet sein

Besatzungsmauer durch Bethlehem (Foto: Dagmar Gehm)
Besatzungsmauer durch Bethlehem (Foto: Dagmar Gehm)

Palästina: Ein Thema, das für Zündstoff sorgt und Emotionen auslöst. Das bei der Recherche überraschend wenigen Hindernissen ausgesetzt war, dafür bei der Umsetzung ein bisschen zwischen die Fronten geriet. Dagmar Gehm über einen schwierigen Spagat.

Wir haben es auf die orientalische Weise gemacht. Nichts überstürzt. Haben stattdessen Tee getrunken, immer wieder, über die Lage gesprochen, uns gegenseitig beschnuppert. Ein paar Interviews als „Trockenübung“ gemacht. Über Jahre ging das so, immer auf der ITB. Jedes Mal nach der Pressekonferenz Israel bin ich quer durch die Hallen geeilt, hin zum Stand von Palästina. Habe die Vertreter mit den Aussagen der israelischen Minister konfrontiert und sie um ihre Meinung dazu gebeten. Wegen der Ausgewogenheit.

So entstand allmählich ein Vertrauensverhältnis. Und der Stand wuchs und wuchs. An der zunehmenden Größe ließ sich auch der Zuwachs an Touristenzahlen ablesen. Ich erinnere mich nicht mehr genau an das Jahr, als Palästina erstmals auf der ITB vertreten war, in einem winzigen Büdchen, mit einem einzigen Repräsentanten – Majed Ishaq. Völlig verwaist war der Stand während der ersten Hälfte der Messe, weil Majed nicht über Tel Aviv ausfliegen durfte, sondern umständlich über Jordanien mit zahlreichen Zwischenstopps auf europäischen Airports anreisen musste. Sämtliches Infomaterial war während dieser Odyssee auf der Strecke geblieben. Nicht aber der Wille, sein Land mit Leidenschaft auf der größten Tourismusmesse der Welt zu vertreten.

Ein paar Jahre später sah schon alles ganz anders aus – mit der damaligen Tourismusministerin und heutigen Botschafterin von Palästina in Berlin, Khouloud Daibes, die fließend Deutsch spricht, konnte man für mediale Aufmerksamkeit sorgen. Auch mir gab die Ministerin, die in Hannover Archäologie studiert hat, ein Interview, das unter dem Titel „Besuchen Sie nicht nur Steine – sondern auch die Menschen“ 2010 im Hamburger Abendblatt erschien.

Autorin vor Mauergemälde von Jassir Arafat in Jalameh (Foto: Dagmar Gehm)
Autorin vor Mauergemälde von Jassir Arafat in Jalameh (Foto: Dagmar Gehm)

Eine Reise schien bislang nur mit Veranstaltern durchführbar zu sein, deren Fokus sich nicht unbedingt mit meinen Interessen deckte. Die wenigen, die das Westjordanland anboten, hatten meist ohnehin nur Ostjerusalem, Jericho und Bethlehem im Programm. Bis auf der Pressekonferenz von Palästina 2017 die Möglichkeit einer Palästina-Recherche für Medienvertreter aufgezeigt wurde. Organisiert von Sebastian Plötzgen, der seinerzeit an der Tourismusfakultät des Dar al-Kalima University College Studenten zu Reiseführern ausbildete.

Meine Recherche sollte zeigen, dass die Palästinensischen Autonomiegebiete nicht nur zur Bildungsreise taugen, sondern auch eine junge Szene haben – von öko bis hip – die ganz andere Traveller auf den Plan lockt. Ich bot die Story dem dpa-themendienst an und bekam das Ok. Allerdings war die Gruppen-Pressereise inzwischen bis auf weiteres verschoben worden. Es war mir ganz recht, da mir Sebastian Plötzgen nun ein maßgeschneidertes Programm entwickeln konnte, unterstützt von der HLITOA, der Holy Land Incoming Tour Operators Association mit ihren ca. 50 Mitgliedern. Noch ahnten wir nicht, dass im Laufe der Reise spontane Änderungen vorgenommen werden mussten. Ausgangssperren in Jerusalem bremsten den ursprünglichen Verlauf aus. Kein Problem für die Organisatoren vor Ort – Plan B hat jeder Palästinenser immer in der Tasche.

Für jede Region, die wir besuchten, hatte Sebastian jeweils eine(n) seiner ehemaligen Studierenden gebeten, mir als persönlicher Guide seine Heimat zu zeigen, in denen er/sie lebt, arbeitet und versucht, mit dieser speziellen Situation umzugehen – angereichert mit vielen Insidertipps, die in keinem Reiseführer stehen.

Symbol der Hoffnung: Weltgrößter Schlüssel zum Flüchtlingslager Aida bei Bethlehem (Foto: Dagmar Gehm)
Symbol der Hoffnung: Weltgrößter Schlüssel zum Flüchtlingslager Aida bei Bethlehem (Foto: Dagmar Gehm)

Auf der Agenda standen Ramallah, Jenin, Sebastiya, Jericho, Nabi Musa, Hebron, Bethlehem, vorgestellt in den spannendsten Facetten. Haneen lädt uns zu einem großen Familienfest in ihr Dorf ein, wo ihre Schwester den Highschool-Abschluss feiert. Noor, der eine Frauen-Kooperative besonders am Herzen liegt, begleitet Sebastian und mich fast während der gesamten Reise. Beduinen-Guide Nasser, der in Hebron englische Literatur studiert hat, nimmt uns mit auf Trekkingtour durch das Wadi el-Quelt mit dem Felsenkloster St. Georg. Auf Radtour durch Jericho geht es mit Margo Tarasi und Ashraf Bakri, der mit seiner italienischen Frau Viviana in einem Landhaus das Airbnb „Auberg Inn“ betreibt. Margo ist auch die treibende Kraft, die Nabi Musa, das Mausoleum des Propheten Moses bei Jericho, mit Gästezimmern ausstattet. Die magische Stimmung der Stätte will sie mit Jeep-Safaris und Kamelritten durch die Wüste kombinieren.

Im riesigen Flüchtlingslager Dheisheh, südlich von Bethlehem, lädt uns Mohammed in sein selbst gebautes Haus, dessen Obergeschoss nie vollendet wurde. Im Hotspot politischer Auseinandersetzungen – Hebron – zeigt Ayat die große Kluft zwischen Normalität für Jugendliche wie Internet-Cafés und Clubs einerseits und Auswirkungen des Konflikts wie zugeschweißte Geschäfte im Basar andererseits.

Ich treffe Journalisten und Touristiker, Aktivisten und Pazifisten, besuche Start-ups wie die Brauerei Birzeit, die mit ihrem nach deutschem Reinheitsgebot gebrauten Bier schon mehrere Preise gewonnen hat.

Berühmte Friedenstaube mit schusssicherer Weste von Street-Art-Künstler Banksy (Foto: Dagmar Gehm)
Berühmte Friedenstaube mit schusssicherer Weste von Street-Art-Künstler Banksy (Foto: Dagmar Gehm)

Obwohl das Straßennetz gut ausgebaut ist, gehören zum Alltag der Bewohner auch die vielen, zeitraubenden Umwege, die sie nehmen müssen, die auch wir nehmen, um die israelischen Siedlungen und ihre Zufahrtsstraßen zu umfahren. So ganz begriffen habe ich das ausgeklügelte System, mit welchen Nummernschildern man welche Zonen und Straßen benutzen darf, nie. Mit der schlimmsten Aussicht der Welt wirbt das „Walled Off Hotel“ des britischen Streetart-Künstlers Banksy direkt an der Mauer in Bethlehem. Ein Filmemacher und Nachbar des Hotels wirft Banksy Geschäftemacherei mit der belastenden Situation vor. Ein interessanter Aspekt, der dem Hype um das Mauerhotel einen Dämpfer versetzt. Weniger kontrovers sind weitere Boutique-Hotels, die mit Stil und Charme überraschen: In Sebastiya übernachte ich auf jahrtausendealten Ausgrabungen, die aus der Tiefe der Zeit durch den Glasboden zu mir ins Schlafzimmer leuchten. Passgenau in die Felsen eingefügt von Osama Hamdan, Archäologe und Architekt. Über den Dächern von Bethlehem chille ich zum Sonnenuntergang auf der stylishen Terrasse des Hosh Al-Syrian Guesthouse.

Fazit der Reise: Begegnungen, die unter die Haut gehen, unerwartet hippe Szene, erwartungsgemäß überaus große Gastfreundschaft. Ich liefere Text und Fotos ab, beides wird für gut befunden. Wegen erneuter Unruhen in Jerusalem wird mein Beitrag bis auf weiteres verschoben. Die Lage normalisiert sich, jetzt gibt es jedoch Diskussionsbedarf zwischen der dpa in Berlin, ihren Korrespondenten in Israel, Sebastian Plötzgen in Palästina und mir in Hamburg, was die geographischen Bezeichnungen anbelangt, den Umfang der Sicherheitsinfos, die politische Sichtweise. Es soll noch eine ganze Weile dauern, bis der Beitrag schließlich unter dem Titel „Hebrons Hipster und alte Steine“ gesendet wird. Allerdings zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Wegen Trumps Ankündigung, eine US-Botschaft in Jerusalem zu öffnen, kündigen sich wieder Unruhen an. Trotzdem veröffentlichen mehrere Redaktionen den Beitrag.

Ich werde am Ball bleiben. Werde weiterhin Artikel für die Jüdische Allgemeine schreiben über Themen, die mit dem Judentum zu tun haben, aber auch darüber, dass Palästina, dass die meisten arabischen Länder, empfehlenswerte Reiseziele sind – generationsübergreifend.

Dies ist ein Artikel aus der aktuellen Ausgabe des Columbus-Magazins.

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