Die Columbus-Autorenpreise 2024: Kritik im Paradies

Relevant und aktuell: Die Beiträge für die VDRJ Columbus-Autorenpreise 2024 vermitteln geballtes Wissen und scheuen auch keine kritischen Töne.

Von Mona Contzen

Ein paradiesischer Traumstrand, eine pittoreske Altstadt und die Landschaft? Ist natürlich malerisch. Reisejournalismus sei PR-Journalismus, heißt es oft. Wirklich? Vielleicht liegt es am Jahr 2023, dem Jahr der Krisen, dass die Heile-Welt-Schönwetter-Reportagen auf dem Rückzug sind. Natürlich gibt es sie in den Reiseressorts noch, die Geschichten über sympathische Surf-Spots und Hotels mit trendigen Schlafprogrammen. Texte, die Fernweh wecken, die uns zum Schmunzeln bringen. Aber es gibt auch viel Wissensvermittlung, und – etwas, was den Reiseseiten leider oft abgesprochen wird – es gibt kritische Töne, ob ganz offen oder zwischen den Zeilen. Der Abenteurer im grönländischen Inlandeis sorgt sich darum, dass die Inuit ihre Identität verlieren. Der Urlaub im Instagram-tauglichen Van entpuppt sich als Social-Media-Mogelpackung. Und der Frankfurter Flughafen: eine Zumutung.

Manche Texte wagen sich sogar an die großen Themen unserer Zeit – und das sind die Gewinner der diesjährigen VDRJ Columbus-Autorenpreise.

Die Hoffnung bleibt

Der Preis für die Beste Reportage geht an Agnes Fazekas, die bei „mare“ über den „Strand der guten Hoffnung“ schreibt. Hier, am Toten Meer, treffen Israelis und Palästinenser noch Anfang 2023 direkt aufeinander, während die Pandemie ausländische Touristen weiter fernhält. Und so wird Kalia Beach zum touristischen Hotspot, der vor allem viel verrät über die Einheimischen: Bademeister Mohammad Haddid aus Jericho erkennt schon an der Körperhaltung die politische Gesinnung seiner Badegäste. Die israelische Siedlerin Linda Stein hätte ihren Kibbuz sofort für den Frieden aufgegeben. Und für die junge Soldatin ist die Präsenz am Strand nicht mehr als ein lästiger Pflichttermin.

Mit Fazekas‘ Protagonisten tauchen die Leser ein in Kultur und Konflikt, Geschichte und Gegenwart – und lernen mehr über die Region, als von manchem Reiseführer. Mit guter Beobachtungsgabe und feinfühliger Sprache zeichnet die Autorin ein Bild von Menschen, die so viel trennt und doch hier und da zusammenfinden – gerade in diesem Jahr verleiht das ihrer Reportage besondere Relevanz. Denn am Ende bleibt der Leserin vor allem eines: die Hoffnung.

Mit dem Zug um die Welt

Der Preis für die Besondere journalistische Leistung geht an Michael Allmaier, der sich für DIE ZEIT in acht Teilen der Frage gewidmet hat: Wie weit bringt einen die Bahn, wenn man einsteigt und einfach immer weiterfährt? Sein Text „Hinter Lökösháza geht’s weiter“ ist der Auftakt für eine Zugreise zum Pazifik – eine Tour, „die man nicht mal einfach im Internet bucht“, wie er sagt. Der Autor und seine Redaktion scheuen weder den Zeitaufwand noch die Ressourcen, sie kämpfen mit der Logistik. Am Ende schafft Allmaier 7.000 Kilometer in fünf Wochen.

Natürlich scheitert er beim Ticketkauf am Schalter, natürlich strandet er. Gleich am Anfang. Aber er bleibt dabei so unaufgeregt, beinahe liebevoll, dass sein Text eine große Sogwirkung und literarische Qualität entfaltet. Und schon in der ersten Folge wird klar, auf wie vielen Ebenen Allmaier unterwegs ist: Da ist die Zugreise als kulturelles Phänomen; die vernachlässigte Bahn, die – sozial und umweltschonend – doch noch das Verkehrsmittel der Zukunft sein könnte; da sind Krieg und Nationalstaaterei; und auf der anderen Seite eine Erinnerung an Zeiten, in denen ein einfacher Interrail-Pass das Wort Europa mit Erlebnissen auffüllte. Für den Leser ist das nicht nur informativ, es sind vielfältige Denkanstöße, die weit über den Anspruch eines Reisetextes im Zeitungsformat hinausgehen.

Micro-Adventure im Allgäu

Der Förderpreis für junge Autoren geht an Jana Luck, die für das Magazin „Stern“ durchs Allgäu gewandert ist. „Aufsteigen, um runterzukommen“ nennt sie ihren Selbstversuch. Ein wenig naiv und – als jemand, der mit Sport von Kindesbeinen an wenig anfangen kann, – mit schlechter Laune schließt sich die Autorin dem ersten mehrtägigen Trek ihres Lebens an, um herauszufinden, was um Himmels willen so toll ist am Wandern. Damit zeigt sie nicht nur die Bereitschaft, Strapazen auf sich zu nehmen; sie moderiert auch in einer Zeit des allgemeinen Selbstoptimierungswahns offen den Umgang mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten. Dabei heraus kommt eine kreative Reportage über ein Micro-Adventure: unterhaltsam, glaubwürdig, mutig.

Die Autorenpreis-Jury 2023

  • Barbara Liepert, FAZ/FAS
  • Merten Worthmann, DIE ZEIT
  • Alicia Kern, Gebeco
  • Antje Blinda, Spiegel Online
  • Philipp Laage, freier Journalist
  • Heidrun Braun, freie Journalistin
  • Tanja Neumann, Vielweib on Tour
  • Susanne Hamann, Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten
  • Anke Pedersen, freie Journalistin
  • Mona Contzen, Preis-Geschäftsführerin VDRJ Autorenpreis

Wir danken den Sponsoren des Filmpreises 2024

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