Die Fälschungen von Spiegel-Reporter Claas Relotius haben auch die Jury der Columbus-Autorenpreise 2018 umgetrieben. Am Ende können trotzdem nicht nur die harten Fakten zählen
Von Mona Contzen
An welchen Stellen müssen wir genauer hinschauen, wo wurde übertrieben, vielleicht sogar ein Detail hinzugedichtet? Der „Fall Relotius“, ein Spiegel-Reporter, der mit gefälschten Reportagen sogar Journalistenpreise gewonnen hat, hat einmal mehr an der Glaubwürdigkeit des Journalismus gekratzt und sich auch auf die Diskussionen zur Vergabe der VDRJ Columbus-Autorenpreise 2018 ausgewirkt.
Klar ist: Zum journalistischen Handwerk gehört nicht nur der sprachlich gute Stil, sondern eben auch die korrekte Recherche, die Verpflichtung zur Wahrheit. Wichtig ist aber auch, den Autoren einen gewissen Vertrauensvorschuss zu geben, originelle Beobachtungen und tolle Bilder nicht gleich unter Generalverdacht zu stellen. Gerade im Reisejournalismus, wo die Details, die eine Geschichte meist erst lesenswert machen, oft schwer nachprüfbar sind. Die Jury hat in diesem Jahr über viele Kleinigkeiten leidenschaftlich diskutiert – und sich trotz oder vielleicht sogar wegen Claas Relotius dafür entschieden, Texte auszuzeichnen, die nicht nur mit harten Fakten, sondern vor allem mit ihrer Sprache, ihrem Humor und ihrer Originalität überzeugten.
Die Texte überzeugen mit Sprache und Originalität
Sieger der Kategorie Beste Reportage ist Björn Erik Sass, der in „Frau Rieger, die Beatles und ich“ nach Indien reist, um im Ashram seinen Frieden mit der Band zu schließen. Gleich zu Beginn gibt der Zeit-Autor zu: „Wenige Bands sind mir je so auf die Nerven gegangen wie die Beatles.“ Schuld sind seine Mutter, die peinlich tanzte, und seine Englischlehrerin, die im Unterricht auf Song-Interpretationen setzte. Doch seine offene Herangehensweise an das Thema führt zu einem Ergebnis, das der Freiberufler so nicht erwartet hat: Statt der Ehrfurcht vor der angeblich wichtigsten Band aller Zeiten, begegnet ihm in Rishikesh Gelassenheit. „Erklärte ich Indern, warum genau ich dort war, sagten sie ‚Yes, the Beatles‘ und sie strahlten und nickten dabei so euphorisch, dass klar wurde, wie vollkommen egal ihnen die Band war.“ So wird sein Streifzug durch den Ort, an dem die Beatles vor 50 Jahren meditierten, zu „einem der ehrlichsten Indien-Reiseberichte, die ich bis jetzt gelesen habe“, lobt Jury-Mitglied Alicia Kern. Die „klare, direkte Sprache“ (Wolfgang Stelljes) wirkt nicht nur entwaffnend ehrlich, sie entführt den Leser auch ohne Umschweife an den Ort des Geschehens. „Ein Blinder könnte diesen Text lesen und sich Rishikesh ganz ohne Fotos genau vorstellen“, so Jurorin Dr. Heidrun Braun.
Der Preis für die beste journalistische Leistung geht an Ronja von Rönne und Tilman Rammstedt, die für die Die Zeit mit ihrem Selbstversuch „Eine Frage der Bindung“ gleich ihre Beziehung auf die Probe gestellt haben. In einer schwierigen „Duoleistung“ (Merten Worthmann) berichten die Autoren abwechselnd von ihren Gedanken und Gefühlen während eines gemeinsamen Skiurlaubs – sie als passionierte Skifahrerin, er als blutiger Anfänger. Natürlich scheitert das Experiment: „Weil auch im Leben das Bremsen schwierig ist, saust man meistens geradewegs am Happy End vorbei.“ Mit seinem „feinen, subtilen Humor“, den Juror Johannes Klaus hervorhebt, gelingt es dem Paar aber die alljährlich wiederkehrende Berichterstattung über den Skiurlaub auf eine neue Ebene zu hieven und „aus einem Thema etwas herauszuholen, das sonst nicht viel hergibt“ (Philipp Laage). „Endlich mal eine originelle Skigeschichte, inspirierend und unterhaltsam“, fasst Hansjörg Falz das Jury-Urteil zusammen.
Zwei junge Journalisten teilen sich den Nachwuchspreis
Der Nachwuchspreis für junge Autoren bis 30 Jahre war dieses Mal heiß umkämpft – in der engen Auswahl zwei Texte, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Jury hat deshalb eine ungewöhnliche Entscheidung getroffen: Den Nachwuchspreis teilen sich in diesem Jahr Moritz Herrmann (30) und Kalle Harberg (30). „Der andere Elchtest“ ist in der Zeit erschienen und erzählt in einem „ganz eigenwilligen, selbstreflexiven Stil“ (Wolfgang Stelljes) von Moritz Herrmann, dem gestressten Großstädter und freien Journalisten, der für drei Tage in ein Glashaus in Schweden zieht und von der Natur so überwältigt wird, dass er am Ende sogar den Tod einer Fliege beweint – „ein sprachlich brillanter Text, der fast schon ins Satirische geht“ (Mona Contzen).
Merian-Redakteur Kalle Harberg dagegen schaut mit „Harlems härteste Nacht“ hinter die Kulissen des legendären Apollo Theaters in New York und wählt damit einen ganz eigenwilligen Zugang zu der Stadt, in der es jeder schaffen will. „Eine Reportage aus einer anderen Welt, die mehr vermittelt als reine Selbstbezüge“, lobt Jurorin Antje Blinda den Beitrag aus dem Merian Magazin
New York.
Die Jury 2018:
- Barbara Liepert, FAZ/FAS
- Merten Worthmann, DIE ZEIT
- Alicia Kern, Gebeco-Reisen
- Antje Blinda, Spiegel-Online
- Philipp Laage, dpa
- Wolfgang Stelljes, Freier Journalist
- Hansjörg Falz, Merian
- Johannes Klaus, Reisedepeschen
- Dr. Heidrun Braun, Freie Journalistin
- Mona Contzen, Freie Journalistin, Geschäftsführerin Autorenpreis / VDRJ
Der Columbus-Autorenpreis wurde von Gebeco-Reisen und Eurowings unterstützt.
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