Tot oder nicht tot, das ist hier die Frage

Warum in der Ferne schweifen, sieh das Gute liegt so nah. Die Ostsee zum Beispiel. Denn nix gegen Exotik à la Papua-Neuguinea, aber wer fährt da wirklich hin? (Foto: Rüdiger Edelmann)
Warum in der Ferne schweifen, sieh das Gute liegt so nah. Die Ostsee zum Beispiel. Denn nix gegen Exotik à la Papua-Neuguinea, aber wer fährt da wirklich hin? (Foto: Rüdiger Edelmann)

Der Corona-Lockdown hat schon viele im Reisegewerbe an den Rand der Existenz gebracht. Was aber ist mit uns Reisejournalisten, die wir unmittelbar mit dem Tourismus verknüpft sind? Was ist mit dem Reisejournalismus an sich, der auch schon vorher gerne mal für tot erklärt wurde?

Ein Kommentar des Ersten Vorsitzenden der VDRJ, Rüdiger Edelmann

Warum es einen neuen, anderen Reisejournalismus braucht

Ich sage es mit aller Vorsicht: Das, was noch vor 10-15 Jahren den klassischen Reisejournalismus mit Reportagen aus den schönsten Urlaubsgebieten ausgemacht hat, ist weder lebendig noch systemrelevant. Die augenscheinlichen Gründe dafür sind bekannt: immer weniger Absatzmöglichkeiten, insbesondere für freie Journalisten. Verlagskonzentration auf dem Zeitungsmarkt und Reduzierung der Redaktionen und daraus folgend immer weniger Honorare. Dass die Honorierung immer ziemlich lausig war und ist, verschärft die Situation.

Konnten wir vorher bereits schlecht davon leben, können es viele inzwischen gar nicht mehr. Das Phänomen zieht sich durch alle Medien, ob Print, Radio, Fernsehen, Online. Letztlich ist es überall dasselbe und keine gute Ausgangssituation, eine Pandemie wirtschaftlich zu überstehen. Immerhin: Das zu Beginn der Krise befürchtete völlige Sterben der (Print-)Reiseteile ist glücklicherweise ausgeblieben. Besser wurde allerdings auch nichts.

Überholte Vorurteile und echte Geldnachteile

Die Vorurteile über Reisejournalisten – als bestechliche Schönschreiber – sind weitestgehend Vergangenheit. Aber sie halten sich hartnäckig: Reisejournalisten lassen sich einladen und schreiben dann schöne Dinge.

Doch zum einen schreiben wir nicht immer schöne Sachen. Zum anderen ließe sich das vermeiden, wenn Reiseredaktionen mit Etats ausgestattet wären, die eine eigene Recherche ermöglichen und gleichzeitig ein Honorar abwerfen, von dem man leben kann. Das Gegenteil aber hat Tradition. Keine Anzeige, kein Reiseteil, heißt es bei Zeitungsverlegern und ich kenne es kaum anders aus der eigenen Biografie im öffentlich-rechtlichen Radioleben. Erst gibt es das Verbot an Pressereisen teilzunehmen und wenn man nach einem Recherche-Etat fragt, heißt es: Dafür haben wir kein Geld. So hat man Redaktionen, Sendungen, Jobs und Themen gekillt. Und Hörer verjagt.

Guten Reisejournalismus erkennbar machen

Alte Kategorien helfen nur noch bedingt. „Reiseteil gut – Blog schlecht“ oder „Reisefilm und Radiostück gut – Podcast und YouTube-Film schlecht“, das war mal so, wenn es denn je gestimmt hat. Da ich inzwischen selbst einen Reiseblog, oder wie ich es nenne: ein Internetmagazin mit Podcast, produziere, muss ich für seriös und journalistisch arbeitende Blogger eine Lanze brechen. Anders gesagt, es gibt gute Reiseteile und -magazine, schlechte Reiseblogs und -podcasts und natürlich auch umgekehrt.

Wenig Information darf ich selbstredend erwarten beim Influencing auf der Basis „Gut aussehende Frau mit langem Haar sitzt vor Traumkulisse“. Das ist vielleicht hübsch, aber nie informativ. Allerdings, eine Zeitungs-Reisebeilage, die aus Advertorials besteht, ist ebenso Werbung und kein Journalismus.

Eine Garantie gibt es für nichts mehr. Trotzdem lebt er noch, der gute „alte“ Reisejournalismus. Das lese, sehe und höre ich bei den Einreichungen für unsere jährlich ausgelobten Journalistenpreise in der VDRJ.

Gibt es Auswege und Perspektiven?

Wir haben es in den letzten Monaten gesehen: Da schafft es das Thema Tourismus flächendeckend in die Nachrichten und Polit-Magazine. Fernsehprogramme entdecken das Thema Reisen neu und veranstalten, wie zum Beispiel das WDR-Fernsehen, ganze Tagesspecials und senden zwölf Stunden lang Reisethemen und -filme am Stück. Form und Inhalt des traditionellen Reisejournalismus mag vielleicht verschwinden; das Interesse am Thema ist aber genau so groß wie das Interesse der Menschen, Urlaub zu machen.

Neue Themen, um die wir viel zu lang einen mehr oder weniger großen Bogen gemacht haben, braucht das Land. Man findet sie mitunter im Inland, wohin es aktuell viele Urlauber verstärkt zieht. Ist es also unser Hang zur Exotik, der uns nach wie vor Zielen hinterherhecheln lässt, die für die meisten Urlauber ohnehin ein Fremdwort bleiben? Nix gegen Papua-Neuguinea, aber wer fährt da wirklich hin?

Neue Themenansätze braucht es auch. Wirtschaftsmagazine nehmen sich der Reisekrise an. Tourismus, nicht umsonst einer der größten Wirtschaftsfaktoren rund um den Globus, wird zum flächendeckenden Thema. Und sind wir ehrlich: Hat nicht jeder von uns in der letzten Zeit Kollegen aus den Wirtschaftsressorts gehört und gesehen, die zwar mit Zahlen jonglierten, aber letztlich keinerlei Hintergrundwissen hatten über die (Reise-)Wirtschaftsbetriebe, die zum Thema wurden? Eine Chance für Reise-Fach-Journalisten.

Auch das Thema Umwelt hat uns schon im letzten Jahr umgetrieben. Der Tourismus wandelt sich in Richtung Nachhaltigkeit. Das ist ein weiteres Thema, bei Umweltignoranz erst recht. Kunst und Kultur lassen sich ebenfalls mit Reisen verbinden, genauso wie Geschichte, Musik, Kulinarik, Gesundheit, Mobilität, Politik, Sozialverträglichkeit oder sogar Religion.

Damit sind wir beim Knackpunkt. Gut muss es sein, was wir abliefern: Ordentlich recherchiert, nachhaltig relevant und fachlich fundiert. Die Zeiten der „Pressereise an die dritte Palme von links“ sind ohnehin vorbei. Warum also steht ein schöner Baum dann immer noch viel zu oft im Zentrum von Berichterstattung und Fotografie?

 

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