Gedanken der Jury zum Jahrgang 2017

Radiopreis

Wenige, dafür umso intensivere Highlights

Holger WetzelDie Columbus-Radiopreisjury hatte in diesem Januar wie jedes Jahr die Aufgabe, den 38 von ARD-Anstalten und freien Autorinnen und Autoren eingereichten Beiträgen ihr Ohr zu leihen. Hochmotiviert, in bester Stimmung und bei strahlendem Sonnenschein haben die sechs Jurymitglieder hoch über der Elbe mit Blick auf das bunte Treiben im Hamburger Hafen versucht, wieder einmal die Spreu vom Weizen im deutschsprachigen Reiseradio zu trennen. Welche Reporterin hat die stimmigste Atmo eingefangen, welcher Kollege schafft es, ein Thema besonders ungewöhnlich aufzubereiten? Wer schafft es, Radio innovativ und qualitativ hochwertig zu produzieren, dass es eine Freude ist und Spaß macht, viele Stunden Wettbewerbsmaterial im Rahmen der Vorjury durchzuhören und am Sitzungstag gemeinsam zu begutachten, zu besprechen und mit einem goldenen und mehreren silbernen Columbus auszuzeichnen?

Die Praxis, alle Beiträge im Vorfeld der Jurysitzung dem Gremium zur Vorbewertung zu schicken, hat sich auch in diesem Jahr wieder bewährt und als notwendig erachtet: So konnte sich am Sitzungstag ausgiebig durch die besten zehn der von der Vorjury ausgewählten Beiträge gearbeitet werden. Neben viel Mittelmaß und Beiträgen, bei denen man sich fragen musste, wie sie es ins Radio geschafft haben, waren im Wettbewerbsjahrgang 2017 zwar nur sehr wenige, aber dafür umso intensivere Radiohighlights unter den Einreichungen dabei.

So hat sich die Jury begeistert gezeigt von der Bandbreite, die Till Ottlitz in seinem Gewinnerbeitrag „Schnitzeljagd mit Mama“ (Bayern 2, „RadioReisen“) mit großer Authentizität und offener Neugier dokumentiert. Die herausragende Autorenleistung besteht nach Meinung der Juroren darin, dass Till Ottlitz nicht nur begriffen, sondern auch umgesetzt hat, dass eine gute Geschichte eine persönliche Geschichte als Grundlage braucht. Der Reporter wandert mit seiner Mutter durch die Dordogne und meistert bravourös die Aufgabe, nicht nur das Reiseerlebnis als solches – die Wanderung – in einer höreraffinen Reportage aufzubereiten. Er montiert scheinbar willkürlich am Wegesrand stattfindende Ereignisse mit einer Leichtigkeit in seinen Beitrag, die keinen Zweifel an seiner Professionalität aufkommen lassen.

Tom Noga nimmt seine Hörer mit auf eine stimmungsvolle Rundreise über den Südamerikanischen Kontinent. Seine in der Kategorie „Service“ mit Silber ausgezeichnete Reportage „Doktor im Gepäck“ (Deutschlandfunk Kultur, „Die Reportage“) zollt nach Meinung der Jury einer sich rasant verändernden Demographie immer älter werdender und dennoch immer aktiver reisender Menschen Tribut. Die Reportage besticht nicht nur durch ihren spannenden Infocharakter, sondern brilliert auch durch Tom Nogas pointierte Sprache. Selbst wenn die Reiseziele im Sinne einer Inforeportage an wenigen Stellen aus dem Fokus der Berichterstattung rücken, lässt die Dramaturgie des Beitrags keinen Zweifel: Neugier wird geweckt nach der Frage, ob denn tatsächlich alle Mitreisenden am Ende der anstrengenden Reise überlebt haben.

Patrick Obrusnik gelingt mit seiner Reportage „Auf den Spuren von Prince in Minneapolis“ (Bayern 2, „RadioReisen“) nach Meinung der Jury das Kunststück, seine Hörer für sein ganz persönliches Schicksal einzunehmen und dabei seinen professionellen Reporterauftrag zu keinem Zeitpunkt aus dem Auge zu verlieren. Dafür wurde er mit dem Silbernen Columbus in der Kategorie „Ungewöhnliche Herangehensweise“ ausgezeichnet. Drei Tage nach dem Tod des Musikers Prince reist er zum ersten Mal nach Minneapolis. Auf dieser privaten Reise aufbauend, nimmt Patrick Obrusnik seine Hörer nach einem Jahr erneut mit in die USA zu seiner ganz persönlichen Bestandsaufnahme: Wie hat sich das Leben ohne Prince verändert? Für den Reporter; für Minneapolis; für die in die Stadt pilgernden Fans und Groupies. Prince und Minneapolis werden so auch für „Nichtfans“ plötzlich interessant.

Die sehr breit gefächerte Zusammensetzung der Jury spiegelt sich naturgemäß auch in den unterschiedlichen Präferenzen sowie Sichtweisen und Bewertungsmaßstäben der einzelnen Juroren wider.

Aus diesem Grund komme die einzelnen Mitglieder der diesjährigen Columbus Radiopreis Jury einzeln zu Wort: Anja Goerz (Radio Bremen), Hilke Theessen (Radio Bremen), Daniela Wiesler-Schnalke (Deutsche Welle), Wiebke Keuneke (Freie Hörfunkjournalistin), Ingrid Käser (Freie Journalistin) und Holger Wetzel (GF Columbus Radiopreis).

Freude auf 2019Ingrid_Kaeser

2018 erlebte ich den Columbus-Radiopreis aus einer völlig anderen Perspektive. Als Beauftragte für Journalisten- und Medienpreise im Bayerischen Rundfunk bestand in den vergangenen Jahren meine Aufgabe darin, Produktionen des BR auch zu diesem Preis einzureichen. Die Anmeldungen verband ich jedes Mal mit der zarten Hoffnung auf eine oder mehrere „edelmetallige“ Auszeichnungen. In diesem Jahr saß ich auf der anderen Seite und es galt nun, als Jurorin alle eingereichten Beiträge zu bewerten. Die Aufgabe war so einfach nicht; dennoch gab es einige interessante Sendungen, die stimmungsvoll, gut recherchiert und informativ gebaut, auf meiner Favoritenliste Platz fanden.
Auch wenn sich bei der gemeinsamen Kür der Sieger die Auffassungen der Jurymitglieder oft divergent zeigten, dauerte es nicht allzu lange, die drei besten Beiträge zu ermitteln. Beim Anhören der Einreichungen freut man sich schon jetzt auf die nächsten Bewerbungen um den Columbus Radiopreis im kommenden Jahr.

Ingrid Käser (Freie Journalistin)

Daniela WieslerWichtig ist der Kern der Dinge

Was für eine Freude, bei dieser Jury mit diesen Kollegen mitzutun! Obwohl komplett unabhängig voneinander bewertet, setzte sich bei allen dieselbe Qualität durch: Wirklich preiswürdig sind die Beiträge, die nicht nur professionell gebaut, gut gesprochen und informativ erzählt sind, sondern die Bilder im Kopf entstehen lassen, uns mit auf die Reise nehmen, uns berühren. Das tun sie, wenn eine Haltung zu spüren ist, die ur-journalistisch ist: offen, neugierig, unvoreingenommen und empathisch. Sich Menschen nähern, ohne sie vorzuführen; dicht erzählen, ohne gefühlsduselig zu werden; sich nicht in der Beschreibung von Äußerlichkeiten zu verlieren, sondern zum Kern der Dinge vorzustoßen. Wer als Autor oder Autorin solch einen persönlichen Zugang zum Thema wagt, bannt das Publikum – egal ob es „nur“ zum Wandern mit Mama geht oder in den Dschungel. Mehr davon!

Daniela Wiesler-Schnalke (Deutsche Welle)

Anja Goerz2Keine Innovationen

Insgesamt gab es in diesem Jahr leider keine überraschenden Beiträge, keine Innovationen, sondern in Machart und Umsetzung viele Beiträge, wie sie bereits seit Jahren im Radio zu hören sind.

Typische Fehler, die zu weniger Punkten geführt haben waren eintönig von professionellen Sprechern eingesprochene Texte, die jede Empathie und Authentizität vermissen lassen. Dazu gehören auch Übersetzungen von Originaltönen, die die Stimmung des O-Ton-Gebers nicht wiedergeben. Unschön auch, dass häufig „geschraubte“ Formulierungen und absehbar eingesetzte Musik zur Untermalung verwendet werden, die man bereits tausendfach in anderen Beiträgen zum gleichen Thema gehört hat. Herausragend sind auch in diesem Jahr wieder diejenigen Beiträge, die einen persönlichen Zugang suchen, oder die Städte und Länder über eigene Belange vorstellen. Entweder weil sie Fan eines Musikers sind und seine Heimatstadt besuchen oder weil sie mit Familienmitgliedern auf Reisen gehen. Und in Zukunft? Da würde ich mir       mehr überraschende Macharten wünschen, und vor allem mehr Mut der Verantwortlichen dem Radiohörer gegenüber, auch einmal ungewöhnliche Zugänge, ungewöhnliche Sprecher und ungewöhnliche Macharten zuzumuten.

Anja Goerz (Radio Bremen)

Wiebke Keuneke Mehr Mut, weniger Klassisches.

Als Gewinnerin des Goldenen Columbus Radiopreises des vergangenen Jahres vorgestellt zu werden, ist natürlich schon schön. Und wenn das auch noch im Kreise anderer netter Radiomenschen über den Dächern Hamburgs mit Blick auf den Hafen geschieht – und einem dabei ab und an die Wintersonne ins Gesicht fällt: was will man mehr. Doch vor der eigentlichen Jurysitzung lagen einige Stunden vor dem Laptop, mit Kopfhörern auf den Ohren und Kugelschreiber in der Hand, eine riesige Tabelle vor mir liegend: die 38 eingereichten Beiträge mussten bewertet werden. Neben einigen auffällig guten Einsendungen gab es viele Beiträge, die zwar handwerklich solide gemacht waren, aber dann doch so klassisch „Schema F“ folgten und jeglichen Esprit und besondere Idee vermissen ließen. Es reicht halt auch im Reisejournalismus nicht, nur eine Gegend vorzustellen und alles, was einem zwischen Bahnhof, Flughafen, Hotel und Wanderung über den Weg läuft in einen Topf zu schmeißen, umzurühren und als Reisereportage anzubieten. Auch da braucht es eine Geschichte, starke Protagonisten, eine Dramaturgie, eine besondere Herangehensweise bei Regie und Montage und im besten Fall sogar einen persönlichen Zugang. Also: Mehr Mut, weniger Klassisches – das lohnt sich.

Wiebke Keuneke (Columbus Radiopreis Gewinner 2016 GOLD/freie Journalistin)

Hilke TheessenMutlos, fast langweilig

38 Beiträge von 5-54 Minuten Länge. Hörreisen von Trinidad bis ans Polarmeer, von der Nordsee bis in die Berge. Das ist viel, für die Ohren einer Jurorin, viel für die Ohren aller Juroren. Angenehm haben sich die Beiträge aus der Masse abgehoben, die mit einer sehr persönlichen Herangehensweise unterwegs waren. „Schnitzeljagd mit Mama“ oder Prince posthum in Minneapolis besuchen. Es gab Beiträge, die überraschend Neues hatten, etwa, wie die Vanille nach Mexiko kam oder die letzten deutschen Einwanderer auf Jamaica. Es gab eine Autorin, die plötzlich ihre Stimme erhob und gesungen hat. Toll und wohltuend anders. Umgekehrt gehen in der Menge der Einreichungen jene Beiträge unter, die sich sehr konventionell an Themen und Länder herangewagt haben. Der Jahrgang war insgesamt mutlos, fast langweilig. Wenig neue Herangehensweisen, wenig neue Produktionsweisen; immer wieder ermüdende Beschreibungen, die Ton und Text aneinanderreihen. Ich würde mir mutigere Produktionen wünschen, die ausgelatschte Produktionswege verlassen und etwas wagen. Reportagen, die sich im besten Sinne auf Land und Leute einlassen.

Hilke Theessen (Radio Bremen)

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