Holland ist mehr als Amsterdam

Amsterdam: Blick zum Nemo (Foto: Lilo Solcher)
Amsterdam: Blick zum Nemo (Foto: Lilo Solcher)

Von „Overtourism“ und den Chancen für eine Destination

„Overtourism“, als das Zuviel an Tourismus, ist in aller Munde. Selbst der Spiegel hatte vor kurzem eine ausführliche Geschichte zu dem inzwischen als Problem erkannten Phänomen des Massentourismus. Alexandra Johnen, PR-Managerin beim Niederländischen Büro für Tourismus und Convention, sieht die Tourismusschwemme vor allem als Chance für bisher unentdeckte Regionen.

Neulich blickte mich mein mit „Iamsterdam“ beflockter Regenschirm etwas traurig aus dem Schrank an. Nicht nur, weil er im Sommer 2018 so selten zum Einsatz gekommen war. Sondern auch, weil er seit Jahren nicht mehr durch seine Heimatstadt getragen worden war. 2014 hatte ich ihn geschenkt bekommen, während einer verregneten Gruppenpressereise nach Amsterdam, die ich im Auftrag von NBTC Holland Marketing leitete – es war die bislang letzte berufliche Tour in die Grachtenstadt.

Denn kurz danach begann die böse Vokabel „Overtourism“ immer häufiger in den Medien aufzutauchen. Der Tourismus überdreht, soll das wohl heißen, und Amsterdam wird seitdem in einem Dreiklang mit Venedig und Barcelona als Destination genannt, die von Besuchern regelrecht überschwemmt wird. Warum das so ist und was die Stadt Amsterdam dagegen unternimmt: Dazu haben sich schon fast so viele Experten geäußert wie Reisende durch die Grachtengürtel gondeln. Was das Tourismusphänomen aber für die Niederlande insgesamt bedeutet, was es auch für Chancen birgt, das wird in all den Publikationen selten erörtert.

Seit Jahren fahre ich als Pressesprecherin von NBTC Holland Marketing in Köln einen immer strikteren Kurs. Anfangs wurden die Gruppenpressereisen nach Amsterdam eingestellt. Dann grenzten wir unsere Unterstützung für individuelle Pressereisen auf wenige, spezielle Amsterdam-Themen ein (z.B. „Das moderne Amsterdam außerhalb des Grachtengürtels“). Inzwischen muss ich alle Presseanfragen für die niederländische Hauptstadt abblocken und soll möglichst auch nicht mehr auf unserem Holland-Twitter-Account über Amsterdam zwitschern. In Vorbereitung ist sogar ein offizielles Statement unserer Organisation, das Journalisten davon abraten soll, über die Metropole als Reisedestination zu berichten. Nach dem Motto „Wollen Sie wirklich mit Ihrer Berichterstattung dazu beitragen, dass noch mehr Touristen nach Amsterdam kommen?“.

Die Kubushäuser in Rotterdam (Foto: Lilo Solcher)
Die Kubushäuser in Rotterdam (Foto: Lilo Solcher)

Aber ergänzend zu der Vermeidungsstrategie hat unsere Organisation eben auch eine Idee, wie man Touristenströme stärker als bisher lenken könnte. Weg von Amsterdam, hin zu anderen Städten und Regionen in den Niederlanden, die ebenfalls reizvoll, aber weniger überlaufen sind. Und diese Idee lässt sich gerade für den deutschen Quellmarkt mit seinen über fünf Millionen Holland-Reisenden pro Jahr (Tagesgäste nicht mitgerechnet!) sehr gut anwenden. Denn hier – vor allem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen – leben die „Wiederholungstäter“. Urlauber, die bis zu sechs Mal im Jahr in die Niederlande fahren, die das kleine Nachbarland sehr gut kennen und offen sind für neue Entdeckungen.

Was bedeutet das praktisch? Nun, zum Beispiel, dass ich Journalisten, die bei mir nach Unterstützung für eine Amsterdam-Pressereise fragen, Alternativen anbiete: Ein Beitrag über Dutch Design? Warum dann nicht statt nach Amsterdam ins hippe Rotterdam reisen und die dortige Designszene beleuchten. Grachtenromantik?

Kann man auch in Utrecht haben, wo man direkt an den Kanälen dinieren und eine abendliche Kanutour durch die Grachten unternehmen kann. Kunstmuseen stehen auf der Agenda? Statten Sie doch Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“ im Mauritshuis in Den Haag einen Besuch ab, statt zum 100. Mal über Rembrandts „Nachtwache“ im Amsterdamer Rijksmuseum zu schreiben… Lenkung der Touristenströme, statt auf pures Wachstum zu setzen: Das sehen wir als unsere Aufgabe an, sowohl im Marketing als auch in der PR. Unsere Organisation hat dazu sogenannte Storylines kreiert, thematische Routen durch die Niederlande, denen der Tourist folgen kann. Beispielsweise die Van Gogh-Storyline, die zwar auch das Van-Gogh-Museum in Amsterdam beinhaltet, aber zudem nach Brabant in die Heimat des großen Künstlers führt sowie in den Nationalpark De Hoge Veluwe, wo sich mitten im Grünen das Kröller Müller Museum mit der zweitgrößten Van-Gogh-Sammlung der Welt befindet. Eine ganz andere Storyline führt zu den kulinarischen Stationen der Niederlande – von der Käseregion rund um Gouda über die Küstenorte mit ihrem fangfrischen Fisch aus der Nordsee bis hin nach Zeeland mit seinen „salzigen Seligkeiten“.

Apropos Zeeland: Unsere Strategie beinhaltet auch eine zeitliche Lenkung der Holland-Reisen. Während sich nämlich im Sommer halb NRW an den Stränden Zeelands knubbelt, ist es im Herbst und Winter an der „Sonnenriviera“ viel ruhiger – und die breiten Sandstrände laden zu ausgedehnten Spaziergängen zum „Kopflüften“ ein.

Tja, und Amsterdam? Ob ich wohl noch einmal bei einer Pressereise meinen Iamsterdam-Regenschirm durch die Grachtenstadt tragen werde? Vorerst wahrscheinlich nicht. Spannender ist es, Journalisten und Bloggern die unentdeckten Gegenden der Niederlande aufzuzeigen. Und davon abgesehen: so oft regnet es in Holland ja auch gar nicht…

Dies ist ein Artikel aus der aktuellen Ausgabe des Columbus-Magazins.

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