Gedanken an Israel

Uwe Krist bei Dreharbeiten im Krater bei Mitzpe Ramon (Foto: Brigitte Jedlin)
Uwe Krist bei Dreharbeiten im Krater bei Mitzpe Ramon (Foto: Brigitte Jedlin)

Wie soll man das Entsetzen über die jüngsten Ereignisse in Israel und im Gaza-Streifen formulieren, ohne ins Floskelhafe abzugleiten? Wie Trauer, Wut, Angst kanalisieren. Auch wir Reisejournalisten, die wir meist mit den schönen Seiten des Unterwegsseins konfrontiert sind, ohne die Augen vor den Schattenseiten der Welt verschließen zu können, ringen um Fassung und um Worte. Unser langjähriges VDRJ-Mitglied Uwe Krist hat es versucht und den folgenden Text geschrieben. Krist, Jahrgang 1941, war viele Jahre unter anderem leitender Redakteur bei der Welt am Sonntag, beim manager magazin und beim Sat1-Frühstücksfernsehen. Auf seinen Recherchereisen war er verschiedentlich auch nach Israel unterwegs.

Von Uwe Krist

„Ich irre von einem Zimmer zum anderen, die Treppe hinunter und wieder hinauf, und habe ein Gefühl wie ein Singvogel, dem die Flügel mit harter Hand herausgerissen worden sind und der in vollkommener Dunkelheit gegen die Stäbe des engen Käfigs fliegt. ‚Nach draußen, Luft und Lachen!‘, schreit es in mir….Das runde Fleckchen, auf dem ich stehe, ist noch sicher, aber die Wolken rücken immer näher und der Ring, der uns von der Gefahr trennt, wird immer enger.“ – Anne Frank, Tagebuch 1942

Und wir?

Gar nicht so lange her. Wir lagen auf dem harten Boden und starrten nach oben. Nie war es dunkler. Die bitterkalte Nacht vereiste fast das Atmen. Oben, was man Himmel nennt, verabschiedeten sich Wega, Atair und Deneb und machten, wo es in der Unendlichkeit doch eigentlich keinen Raum braucht, dem herbstlichen Großen Bären Platz. Wir froren. Und waren doch so glücklich.

Glücklich in der Erosionswüste Machtesh Ramon. Mitten im Negev, wo gerade jetzt hinter dem hohen Kraterrand die wenigen Nachtlichter von Mitzpe Ramon blinzelten. Gestern hatten wir kurz noch in Yad Mordechay gehalten, eine kurze Pause. Im Rückspiegel weniger als zehn Minuten nah: der Gazastreifen. Als Reisejournalisten porträtierten wir Urlaub in Israel. Es hätte auch eine – sicher hellere – Sternennacht sein können im „Yuk“ in Bolschoy Fontan an der Schwarzmeerküste der Ukraine. Das hat normalerweise bis Mitternacht auf. Oder unter Zedern des Naturparkes Al Shouf Cedar im Libanon. Oder. Oder. Oder. Damals.

Es mag immer noch stockdunkel sein. Jede Nacht. Hier und dort. Aber heute ist es toddunkel. Und wir können nicht im Geringsten die Dimension der gnadenlosen Unmenschlichkeit ermessen, die sich nicht satt genug saufen kann am Blut des scheinbar anderen Anderen. Meine Hoffnung: dass auch wir beruflich Reisenden es immer wieder versuchen, irgendwo  – und auch irgendwann wieder hier – Orte und Plätze zu finden, wo wir wieder auf dem Rücken liegen und nach oben, was man den Himmel nennt, schauen und gar nicht mehr aufhören können, auch anderen von diesen wunderbaren Sternen zu erzählen. Ja, und ganz bestimmt von einer heileren Welt. Jetzt gerade, auch wenn sie das mit trauriger Sicherheit nur auf Zeit ist.

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