Blind sehend durch die Welt: Nur mit dem Herzen sieht man gut

Christoph Ammann im Podcast-Gespräch mit Jürgen Drensek

Christoph Ammann
Christoph Ammann

In der Fralounge des Frankfurter Flughafens mit Blick auf das Vorfeld und das im Bau befindliche neue Terminal 3 hat die VDRJ ihrem Ehrenpreisträger 2024 – dem erblindeten Schweizer Reisejournalisten Christoph Ammann – a, 22. Februar 2024 das bronzene Scheibenrad überreichen. Vor der sehr inspirierenden Zeremonie nutzte Jürgen Drensek die Gelegenheit, sich mit dem Preisträger für seinen „Was mit Reisen“-Podcast zu unterhalten.

Ich muss zugeben, ich hatte schon ein mulmiges Gefühl bei der Vorbereitung dieses Reiseradio-Podcasts. Ein Gespräch mit einem Kollegen über die empfundene Qualität des Reisejournalismus ist ja eh eine heikle Angelegenheit. Denn wer ist schon selbst frei von Fehlern? Aber bei Christoph Ammann, meinem Gesprächspartner aus der Schweiz, kommt noch ein Faktor hinzu, der geradezu unglaublich klingt: Christoph verlor 2011 sein Augenlicht, und ist seitdem ein blinder Reisejournalist. Geht das überhaupt? 

Wie sollen wir für unsere Leser, Hörer oder Zuschauer die Welt entdecken, als Vor-Reiser, als kompetente Berater und seriöse Reisebegleiter, wenn wir sie nicht sehen, sondern uns auf unsere anderen Sinne beschränken müssen?

Jürgen Drensek im Gespräch mit Columbus-Ehrenpreisträger Christoph Ammann
Christoph Ammann, VDRJ-Ehrenpreisträger 2024, in Jürgen Drenseks Reiseradio Podcast

Für mich als hauptberuflichen Filmer natürlich eine unmögliche Vorstellung. Eine solche Diagnose hätte bei mir zwangsläufig das berufliche Ende bedeutet. Aber je mehr ich mich mit der Situation auseinandersetzte – was würde ich denn als schreibender Journalist tun? – desto mehr Chancen erkannte ich für spannende Zeilen. 

Wir können uns zum Beispiel an Gerüche viel länger und viel intensiver erinnern, als an jedes Bild. Wie würde ich einen Markt in Indien mit all seinen Düften und dem Geschnatter drumherum beschreiben? Und würde das nicht viel intensiver, als das Formulieren der visuellen Wuseligkeit? Was passiert mit uns an der Küste, an einem Hafen? Salzluft, Tang, Algen, die Brandung im Sturm, die das Gesicht kribbeln lässt? Und schnell merkte ich, dass das, was zunächst als ein Ding der Unmöglichkeit scheint, als Reisejournalist blind zu sein, auch zu ganz intensiven Erlebnissen für meine Leser führen könnte.

Mal abgesehen davon, dass Reisejournalismus ja viel mehr Facetten hat, als „nur“ die Beschreibung einer Destination. So wie ich in meinem Reiseradio der Fachjournalist bin in den Gesprächen mit den Movern & Shakern der Touristik, kann man die touristische Welt auch wunderbar durch Begegnungen mit Menschen und ihren Geschichten erzählen. 

Also verwandelte sich die Mulmigkeit vor dem Gespräch mit Christoph, mit meinen Fragen vielleicht mühsam unterdrückte Wunden aufzureißen, in neugierige Erwartung.

Und warum das Gespräch ausgerechnet jetzt, wo die Erblindung doch bereits 2011 erfolgte? Die Vereinigung Deutscher Reisejournalisten, VDRJ, deren Ehrenpräsident ich sein darf, wählt jedes Jahr in einer geheimen Abstimmung eine Persönlichkeit, der der Columbus Ehrenpreis für herausragende Leistungen im Tourismus verliehen wird. In der Regel sind es bedeutende Touristiker*innen, die in den vergangenen Jahrzehnten Großes geleistet haben für die Reisefreiheit. 

Dieses Jahr wollten die Mitglieder der VDRJ aber ein Zeichen setzen, vor dem Hintergrund des Sterbens so vieler Print-Reiseredaktionen, dass es eben auch bei allen neuen Buchungswegen und dem vermeintlich grenzenlosen Informationsangebot in der Vorbereitung einer Reise wichtiger ist, denn je, dass die Reisenden verlässliche, professionelle, journalistisch-fundierte Einordnungen und Inspirationen erhalten können. Noch nie war das, angesichts all der Pseudo-Information und Instagramisierung der Urlaubswelt – aka Schleichwerbung – in den Sozialen Medien so wertvoll wie heute.

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