VDRJ Columbus Film-Preis 2015

Ein Jahr der Überraschungen

Alle reden vom Internet. Einerseits ein medial mittlerweile ziemlich alter Hut, andererseits dominierten zumindest bis zum letzten Jahr ausschließlich Fernsehfilme den Columbus-Filmpreis. Dieses Jahr war dann einiges anders, zwei der vier vergebenen Preise gehen an Produktionen, die ohne TV-Auftrag entstanden sind. Beide sind dabei in vielerlei Hinsicht höchst ungewöhnlich, „Tropical Islands – Südsee vor Berlin“ genauso wie „in zehn Tagen um die Welt mit Christoph Karrasch“.

Jürgen Drenseks filmischer Essay aus dem brandenburgischen Tropenimitat ist ein sprachlicher Parforceritt, der in Form und ungewöhnlicher Länge von gut elf Minuten im Reisefernsehen von heute schlicht keinen Platz mehr hat. Und man fragt sich: Wieso eigentlich nicht? Hier ist nichts mal schnell fürs Netz hingeschludert, im Gegenteil: Der Film nähert sich einem hinlänglich bekannten Thema – der zum Freizeitpark ummodellierten Zeppelinwerft – auf witzige, persönliche und ungewöhnliche Art, mit einer feuilletonistischen Lust am Fabulieren abseits ausgelutschter Worthülsen. Klingt nach großer Fernsehbühne und findet sich doch ausschließlich im Internet und als Tablet-Applikation des Marco Polo Travel-Magazins. Dafür gab es den silbernen Columbus in der Kategorie „Text“.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Internet-Apologeten beschwören häufig die Befreiung von starren Formen, Formaten und Produktionsbedingungen. Das ist meistens nicht viel mehr als heiße Luft aber Ausnahmen bestätigen die Regel und Jürgen Drenseks Film ist ein gelungenes Beispiel für einen Reisefilm, der ohne das Netz so wohl nie entstanden wäre.

Ganz ähnlich gelagert das außergewöhnliche Projekt „In zehn Tagen um die Welt mit Christoph Karrasch“. Wer an Phileas Fogg auf Speed denkt, bekommt eine erste Idee, was Ex-Radiomacher und Reiseblogger Christoph Karrasch mit seinem kongenialen Regie-Mitstreiter Thomas Niemann filmisch vorschwebte. Follower in den sozialen Netzwerken bestimmten Route und Geschichten aktiv mit und was bei so vielen ähnlichen Projekten meist crossmediales Stückwerk bleibt, hier funktioniert es. Bleibt nicht bloß bemühte Anbiederung an vermeintlich neue Erzählformen, sondern verbindet sich zu einer lebendig erzählten Heldenreise, die fast immer die richtige Balance zwischen subjektiver Nabelschau und authentischem Erleben findet. Dafür gab es silbernen Columbus in der Kategorie „Innovation“.

Außergewöhnliche Qualität

Und was als reines Web-Projekt begann, hat ob seiner außergewöhnlichen Qualität schließlich doch den Weg ins Fernsehen gefunden. Und nicht nur das: Auf N24 lief letzten Dezember nicht nur die High Speed-Welteise von Karrasch und Niemann, im kommenden Jahr präsentieren sie hier auch ihr neues Reiseabenteuer „kleine Welt“. Ist das Fernsehen also doch das Traumziel jedes ambitionierten Reisebloggers? Diese Frage wird uns Christoph Karrasch dann hoffentlich bei der Columbus-Preisverleihung auf der ITB in Berlin beantworten.

Viel Neues also aber auch einiges Bekanntes konnte die Jury dieses Jahr begeistern. Ganz vorne mit dabei wieder Max Schmidt alias Schmidt Max vom bayrischen Rundfunk. Charmant wie eigentlich immer ging die filmische Reise dieses mal zum Lachsfischen nach Irland. Es ist diese typische Schmidt Max-Mischung: Fantasievoll erzählte und gut recherchierte Geschichten mit einer Vielzahl liebevoll gestalteter Regieeinfälle, literarische Zitate, verschachtelte Erzählebenen, pointiert eingesetzte Musik, dazu elegant subkutan eingeflochtene touristische Informationen – das hätte alles eine ziemlich chaotische Mischung werden können. Dass dem nicht so ist, ist vor allem auch das Werk von Cutterin Ines Seiter, die ihr Material souverän im Griff hat. In Zusammenarbeit mit Autor Frank Meißner und Regisseur André Goerschel entsteht so zum bereits wiederholten Mal in der renommierten freizeit-Redaktion des BR eine filmische Blaupause wie unterhaltsam Reisefilme mit regionalem Zungenschlag sein können. Dafür gab es den silbernen Columbus in der Kategorie Schnitt.

Gold für ZDF/Arte

Den Goldenen Columbus für den besten Reisefilm des Jahres sicherte sich dieses Jahr dann erstmalig ZDF/Arte. Schon nach der ersten Durchsicht der Filme im Wettbewerb kristallisierte sich für alle in der Jury schnell ein Favorit heraus. Richard Hofer (WDR), Till Bartels (stern.de), Astrid Zand (Messe Berlin), VDRJ-Cutter Thorsten Pengel und auch mich hatte „Kambodscha – durch das Land der Khmer“ (Redaktion Ann-Christin Hornberger) ganz besonders beeindruckt. Es ist schlicht einer dieser ganz seltenen Reisefilme, an dem so gut wie alles stimmt.

Autor Christian Schidlowski verbindet verblüffende und berührende Geschichten zu einem eindrucksvollen Portrait eines geheimnisvollen Landes. Ohne jede visuelle Effekthascherei übersetzt sein Kameramann André Götzmann diese Geschichten in  grandiose Bilder, in denen jede Einstellung stimmt. Regisseur Sebastian Kentner verdichtet die Erzählstränge dann mit einer atmosphärisch passgenau komponierten Musik, einfühlsamem Color Grading und opulenten Dronenaufnahmen, die auch einem scheinbar totfotografierten Motiv wie Angkor Wat neue Perspektiven entlocken.

Das ist wirklich „Hochglanz“, so oft in Absichtspapieren und Formatbeschreibungen herbeigewünscht und so selten wirklich eingelöst. Und ganz wichtig: Hier verbindet sich eine hochglänzende filmische Oberfläche mit erzählerischer Tiefe zu einer klasschen Sehnsuchtsdokumentation. Danach möchte man als Zuschauer am liebsten sofort die Koffer packen und das nächste Flugzeug in Richtung Südostasien nehmen.

Thomas Radler/Geschäftsführer VDRJ Columbus Filmpreis

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