VDRJ Columbus Film-Preis 2013 – Gedanken der Jury

Angesichts unserer Preisträger bei den großen TV-Reise-Features schoss vielen in der Jury kurz der Gedanke durch den Kopf, ob das Wettbewerbsjahr vielleicht doch eines war der tollkühnen Fernsehteams auf ihren Abenteuern am Rande des Nervenzusammenbruchs. Da stürzen sich reihenweise Menschen von Staudämmen in die Tiefe, oder auch wahlweise von Hochhäusern oder spitzen Felsgipfeln, so dass einem schon beim Zuschauen der Magen signalisiert, ach wie schön, dass ich gemütlich auf dem Fernsehsessel pausiere… Da kraxeln Damen in der Blüte ihres Lebens mit leicht käsigem Gesicht und glasig-angstvollen Augen über wackelige Schaukeln der besonders ekeligen Art – freischwebend unterhalb einer hohen Autobahnbrücke. Menschen stürzen sich viele, viele Meter tief in reißende Gebirgsbäche, trampen durch dubiose Ecken von Iran oder Afghanistan oder gehen unter in den boulevardesken Glitzer-Dschungeln der Trend-Metropolen.

Zwei Tage Filmgucken

Wobei man auch nach zwei Tagen aufmerksamsten Filmeguckens gar nicht mehr sagen konnte, was einen mehr schockierte: der aus Höflichkeit einfach nicht abzulehnende gegorene warme Yak-Tee in der Mongolei; gefolgt von einem Getier-Eintopf, bei dem die Fettaugen hoffentlich wirklich welche aus Fett waren, oder der an Leibesfülle mittlerweile so bedrohlich schwabbelnde und kurz vor der Explosion stehende Reiner Calmund in Miami, von dem man nur noch hoffte, er möge bitte bloß nicht auch noch rülpsen oder pupsen, wenn er sich unappetitlich an die Meatballs (Fleischklopse) seines „Lieblingsitalieners“ heranwanzt.

Auf der anderen Seite gewinnt ein Film den Wettbewerb, der an ruhiger Schönheit, perfekten Kamerabildern, interessanten Geschichten und liebenswerten Begegnungen am Flussrand Reisen in schönster Form visualisiert. Einfach so.

Hochinteressanter Wettbewerb

Sie merken schon, es war ein hochinteressanter Wettbewerb. Auch einer von hoher Qualität. Ja wirklich. Der fehlende Goldene Columbus bei den Kurzen ist da kein Widerspruch. Die Jury hat wieder sehr intensiv und fachkundig diskutiert – und mehr Preise, als üblich ausgelobt. Neben der schieren Menge waren auch so unterschiedliche Macharten im Rennen, dass an einem gewissen Punkt im Finale es keine rational begründbare Entscheidung mehr geben konnte, wo das qualitative Quäntchen Plus zwischen zwei grundlegend unterschiedlichen Konkurrenten mehr sein könnte.

Noch einige grundlegende Erkenntnisse der Jury. Filmisch war es durchaus ein erfreulicher Jahrgang. Ich hatte es ja schon angedeutet. Auch bei den kurzen Beiträgen erkannte man das Bemühen, eine Story zu erzählen. Bei den großen Features war die Kameraarbeit durchweg auf hohem Niveau. Der Zwang, sich immer mehr den HD-Produktionsstandards anpassen zu müssen, ist für Reisefilme, die ja vor allem über das Bild leben, ein Segen.

Das schwere Thema Menschen vor der Kamera: Da gab es gelungene Beispiele, wie den englischen Reisebuch-Autoren auf der Spur von Marco Polo oder die (auch ausgezeichnete) hochsympathische Profi-Fotografin in Madagaskar. Da gab es bekannte Gesichter, wie unseren Schmidt Max, der die Jury zwar immer noch erfreut, aber eben nicht mehr entzückt, weil die Gags Gefahr laufen, austauschbar zu werden.

Hingeschludertes Regionalfernsehen

Da gab es einfache Reisende, die in ihrer Unbeholfenheit besondere Fürsorge bei der Inszenierung, oder besser, filmischen Umsetzung bedurft hätten, Aber leider wurde da häufig auf dem visuellen Niveau einer hingeschluderten Regionalfernseh-Berichterstattung dilettiert. Und da gab es Prominente, die leider zwischen unappetitlich, unsäglich, unbeholfen oder einfach nur unfreiwillig komisch knall-chargierten.

Ach ja, es gab auch noch Moderatoren und vor allem -innen. Die Menschen, mit denen man gerne reisen soll. Einige wenige haben das Zeug dazu, keine Frage. Und bei den Sympathiewerten gab es selbst in der Fachjury schnell die Erkenntnis, dass Geschmack etwas sehr subjektives ist. Bis auf die künstlich hindrapierte Barbiepuppe auf Pro 7, bei der man schmerzlich ahnte, dass ihr Köpfchen nur noch durch Mengen von Ozonloch gefährdendem Haarspray zusammengehalten wurde und der Zeitaufwand der Visagisten, Stylisten, Assistenten und Manager im umgekehrten Verhältnis zum Plapperindex ihrer Lolita-Ansagen stand… Die mochte keiner. Ach ja, ein weites Feld… Aber die Filme wurden deshalb nicht besonders abgewertet…

Jürgen Drensek

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