Columbus Autorenpreis 2019 in Gold für die beste Reportage: „Gratwanderer“

Im Hochsommer verkaufen sich am Strand die Hamamtücher am besten, im Herbst dicke, warme Frotteehandtücher. (Foto: Gabriela Herpell)
Im Hochsommer verkaufen sich am Strand die Hamamtücher am besten, im Herbst dicke, warme Frotteehandtücher. (Foto: Gabriela Herpell)

Strandverkäufer gehören im Süden zum Urlaub wie die gestreiften Sonnenschirme.
Jetzt macht Italiens Regierung Jagd auf sie.
Was für ein Geschäft ist das eigentlich – und was für ein Leben?
Text und Fotos: Gabriela Herpell

Er trägt schwer an den Tüchern, die sauber gefaltet und übereinandergelegt um seinen Hals liegen. In der rechten Hand hält er ein schwarz-weißes Hamamtuch so, dass es im Wind flattert.

Langsam geht er den Strand entlang. Er spricht die Leute nicht an, er beobachtet sie nur. Wenn er Interesse spürt, zögert er, guckt, wenn jemand zurückguckt und vielleicht sogar lächelt, bleibt er stehen und geht in die Hocke, denn seine Kundschaft liegt im Sand. Wenn er das Gefühl hat, nicht zu nerven, wirft er die Handtücher mit einer geübten Bewegung zu Boden. 15 Euro, sagt er dann, zieht ein Tuch hervor und breitet es aus. Wenn man mehrere nimmt, gibt es Rabatt.

Ich kenne diesen Handtuchmann, seit ich nach Elba fahre, bald zwanzig Jahre sind es. Ich habe alle Handtuchmoden mit ihm mitgemacht. Als mein Sohn klein war, haben wir dicke bunte Frotteetücher bei ihm gekauft, die Erdbeeren darauf waren so groß wie Wassermelonen. Ein paar Jahre später hatte er leichtere Tücher in gedeckten Farben dabei, die eine Seite Frottee, die andere glatt, vor fünf, sechs Jahren die ersten Hamamtücher, in Grün, Türkis und Orange mit weißen Streifen, dann blauweiße oder grauweiße in einer Art Waffelpiqué, herrlich leicht und weich und saugfähig, zuletzt groß bedruckte Tücher für zwei Personen, die gehen auch als Tagesdecken.

Ich habe mich immer gefreut, wenn der Handtuchmann zum Strand kam. Ich habe mehr Tücher gekauft, als ich brauchen konnte, und habe sie zu Geburtstagen und zu Weihnachten verschenkt. Nie habe ich bei einem anderen gekauft, auch nie gehandelt, weil ich seine zurückhaltende Art mochte, sein Lächeln, weil ich die Tücher schön und seine Arbeit schwer fand, den ganzen Sommer bei dieser Hitze diese Berge von Tüchern zu schleppen, auszubreiten, wieder zu sortieren, zusammenzufalten, sich wieder auf den Rücken zu laden. Manchmal legte er sich eine halbe Stunde lang in den Schatten der Felsen und schlief, tief und fest. Manchmal setzte er sich an einen Tisch in der Strandbude, bestellte nichts, nicht mal Wasser, und schlief dort ein, den Kopf auf dem Unterarm. Und manchmal erzählte er ein bisschen von sich, während wir Tücher aussuchten. Er spricht sehr gebrochen Italienisch und noch gebrochener Englisch, aber so viel konnten wir verstehen: Er lebt mit seiner Frau und drei Kindern im Atlasgebirge. Jedes Jahr im Mai fliegt er mit Ryanair nach Italien, jedes Jahr im Oktober fliegt er mit Ryanair zurück nach Marokko und verbringt den Winter dort. Die Schulen, auf die seine Kinder gehen, sind nicht gut. Es ist eine arme, ländliche Gegend. Arbeit, für die man bezahlt wird, gibt es dort kaum.

Der Handtuchmann hat kein angemeldetes Gewerbe, sonst liefe er mit einem kleinen Automaten herum, der Quittungen ausdruckt. In Italien ist der Käufer verpflichtet, einen Beleg für jeden Einkauf, sogar jeden Espresso, entgegenzunehmen und im Umkreis von einhundert Metern um das Geschäft oder Lokal bei sich zu haben. Damit will das Finanzamt Steuerhinterziehung vermeiden.

Der Handtuchmann könnte eine Wanderhandellizenz beantragen, dann wäre sein Geschäft legal. Allerdings ist der italienische Fiskus einer aktuellen Studie zufolge der bürokratischste der Welt. Ein Mitarbeiter eines italienischen Büros für Steuer- und Wirtschaftsrecht erklärt: Wenn sich der Handtuchmann korrekt aufstellen wollte, müsste er einen komplizierten Prozess durchlaufen, den er schon sprachlich kaum bewältigen könnte. Außerdem müsste er gemeldet sein, bräuchte ein Bankkonto, wäre mehrwertsteuer- und einkommensteuerpflichtig, müsste Rentenbeiträge zahlen und die Rechnungen für seine Ware elektronisch ans Finanzamt schicken. Dafür bräuchte er einen Steuerberater.

Ich hatte mir, ehrlich gesagt, nie Gedanken darüber gemacht, ob oder wie sehr der Handtuchmann dem italienischen Staat schadet. Klar kann man sagen, das ist naiv. Folklore. Ich dachte aber immer: Wenn er die Möglichkeit hätte, zu Hause bei seiner Familie so viel zu verdienen, dass sie über die Runden kommen, würde er das tun.

Nun hat der italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega-Partei beschlossen, gegen die Strandverkäufer vorzugehen. „Spiagge Sicure“, sichere Strände, hat er die Kampagne genannt. 2,5 Millionen Euro zahlt der Staat, damit die Polizei in 54 Küstengemeinden mit mehr Personal Jagd auf die Verkäufer machen kann, von denen die meisten aus Nordafrika, Indien und Pakistan stammen.

Salvini hat sich mit fremden- und flüchtlingsfeindlicher Politik hervorgetan. Im vorigen Jahr setzte er durch, dass keine Schiffe von Hilfsorganisationen mehr in italienischen Häfen anlegen dürfen. Er setzte durch, dass Asylbewerber in Flüchtlingszentren untergebracht werden, darunter Migranten aus dem kalabrischen Dorf Riace. Riaces Bürgermeister Domenico Lucano hatte Flüchtlinge in leer stehende Häuser einquartiert und so versucht, das sterbende Dorf wiederzubeleben. Letztes Jahr nahm die italienische Finanzpolizei Lucano fest. Ihm wurde Begünstigung illegaler Einwanderung durch das Organisieren von Scheinehen zwischen Migranten und Dorfbewohnern vorgeworfen. Lucano kam bald wieder frei, wurde aber als Bürgermeister suspendiert und darf sich Riace nicht nähern. Diesen Sommer wird ihm der Prozess gemacht. Salvini sagt, Lucano wolle Italien mit Einwanderern „vollstopfen“. Bei der Europawahl holte die Lega 33 Prozent der Stimmen in Italien, in Riace stimmten dreißig Prozent der Wähler für sie.

Auf 1,9 Milliarden Euro schätzen italienische Behörden den Jahresumsatz der illegalen Straßen- und Strandverkäufer in Italien. Sie bieten gefälschte Markenhandtaschen, Schmuck, Sonnenbrillen, Hüte, Sandspielzeug, eigentlich alles, bis hin zur eisgekühlten Ananas, serviert auf einem Bananenblatt. Salvini geht es, so heißt es, vor allem um gefälschte Ware. Die Verkäufer müssen mit Bußen von 2.500 bis 15.000 Euro rechnen. Auch Käufer werden belangt, so steht es auf Schildern, die an vielen Stränden aufgestellt wurden: „Der Kauf gefälschter Waren wird mit einer Geldstrafe von 100 bis 7.000 Euro bestraft, und die Ware wird beschlagnahmt.“ Man erzählt sich, dass Leute Strafe zahlen mussten, wenn sie dabei erwischt wurden, wie sie jemanden am Strand massierten. Und wie sie sich am Strand massieren ließen. Der Mann vom Steuerbüro sagt, in Italien werde gezielt Angst eingesetzt. „Wie eliminiert man die Strandverkäufer? Man belegt die Käufer mit drakonischen Strafen, dann ist das Geschäft tot.“

Die Tücher meines Handtuchmanns fallen nicht unter gefälschte Ware, aber die Operation Spiagge Sicure betrifft auch ihn. Im September des vergangenen Jahres, die Saison ist fast zu Ende, sieht er kaputt aus. Seine Arbeitstage sind lang. Den Sommer über nimmt er morgens die Fähre nach Elba, so hat er es mal erzählt, steigt in sein altes Auto, fährt und läuft verschiedene Strände ab, stellt das Auto abends wieder ab und nimmt die Fähre zurück, er wohnt auf dem Festland, das ist günstiger als Elba, und hat ein Fährticket für die Saison. In Piombino teilt er sich mit seinem Cousin und einem Bekannten ein Zimmer im billigsten Viertel der Hafenstadt.

Ich frage ihn, ob er mich auf seine Tour mitnehmen würde. Er sagt, abgesehen davon, dass er mir niemals das Zimmer in Piombino zeigen würde, das wäre ihm unangenehm, möchte er nicht ausführlich mit mir für einen Magazinartikel sprechen. Er möchte auch nicht, dass sein Name genannt und sein Foto gezeigt wird. Darum ist nicht er auf diesen Fotos zu sehen, sondern einer seiner Kollegen, der nichts dagegen hat, dass sein Name und Foto hier auftauchen. Aber zu dessen Sicherheit ist auch er auf den Fotos nicht zu erkennen, und wir nennen ihn auch nicht bei seinem richtigen Namen, sondern Ahmed.

Ahmed verkauft Handtücher auf Elba, weil seine Mutter in Marokko Diabetes hat und Geld für Insulin braucht. Er ist das einzige von sieben Geschwistern, das nicht in Marokko lebt. Auf die Frage, ob es in Italien schöner sei als zu Hause, schüttelt er heftig den Kopf und sagt fast unter Tränen: „Nein, in Marokko ist es viel schöner, aber dort gibt es keine Arbeit.“

Ahmed ist Mitte dreißig, Single und ein sogenannter Wirtschaftsflüchtling. Er kam 2005 von Libyen übers Mittelmeer nach Lampedusa, wurde von dort nach Kalabrien ins Lager Crotone gebracht, riss nach drei Tagen aus, verkaufte an Ampeln in Salerno Taschentücher und Feuerzeuge, begegnete jemandem, der sagte, geh nach Norden, da ist es besser. In Piombino arbeitete er in einer Fabrik, Akkord, fuhr an einem freien Tag nach Elba und sah Landsmänner, die Handtücher am Strand verkauften. Es waren noch nicht so viele wie heute. Er sah sich das an, dann stieg er ein ins Geschäft.

Im September sind die Tage nicht mehr so heiß. Ahmed hat gesagt, er komme um vier Uhr zum Strand, dann könne ich ihn beim Verkaufen begleiten. Um vier ist er nicht da, auch nicht um Viertel nach vier. Ich erkundige mich nach ihm. Der Life Guard sagt, am Vormittag sei er noch da gewesen, er komme sicher wieder. Er redet nett über ihn, sagt, er gehöre zum Strand, alle am Strand hätten sich an ihn gewöhnt und wollten, dass er bleibt. Er sagt, auch die Touristen, die jedes Jahr kommen, würden sich freuen, ihn wiederzusehen. Es ist ein langer Strand mit vielen Liegen und Sonnenschirmen. In der Hochsaison ist hier die Hölle los, jetzt sind nicht mehr viele Liegen besetzt.

Ahmed erscheint um fünf und entschuldigt sich vielmals, sein Lieferant aus Piombino sei da gewesen und habe ihm neue Tücher gebracht. Wenn möglich, kaufe er sie in einem Großmarkt in Grosseto. Aber wenn sein Vorrat knapp wird, komme ein junger Mann aus Piombino vorbei und bringe ihm welche aus seinem Laden auf dem Corso Italia, aber dann seien sie teurer als in Grosseto. Die Tücher kommen ursprünglich aus Tunesien, Ägypten und Indonesien.

Er zeigt mir, wo er seine Ware aufbewahrt: in Booten und Kisten über den Strand verteilt. Wo er wohnt, zeigt er mir nicht, es sei eine Baracke hinterm Strand, sagt er, nichts Besonderes. Ich frage mich, ob er überhaupt so etwas wie ein Dach über dem Kopf hat. Mittlerweile hat sich der Himmel bewölkt, Wind ist aufgekommen, kein tolles Verkaufswetter. Trotzdem wirft Ahmed sich die Handtücher über die Schulter, nachdem er sie sorgfältig gefaltet hat. Sie sind leichter zu tragen, wenn sie gut gefaltet sind, erklärt er. Er hinkt voraus und schlägt ein ganz schönes Tempo an, er ist es gewohnt, durch den Sand zu laufen. Das Hinkebein hat er, seit er klein ist. Er erinnert sich daran, dass er krank wurde, er kann nicht sagen, was genau es war, aber er weiß noch, dass er mit seiner Mutter beim Arzt war und der Arzt meinte, sie sollten wiederkommen. Sie sind nicht wiedergekommen.

Hat er Schmerzen?
Er sagt, was ihn am meisten schmerze, sei, dass er seine Mutter schon so lange nicht mehr gesehen habe.

Kann er nicht nach Hause?
Seine Mutter brauche auch im Winter Geld, sagt er. Im Winter wohnt er in Piombino und verkauft Schirme, Bettwäsche, Tischtücher, kein so gutes Geschäft wie die Handtücher im Sommer, aber besser als nichts. Lieber würde er auf dem Bau arbeiten, aber das gehe nicht mit seinem Bein. Die Freunde, mit denen er sich die Wohnung in Piombino teile, seien auch aus Marokko. Einer arbeite in einer Fabrik, der andere in der Landwirtschaft. Sie alle hätten seit Jahren das Aufenthaltsrecht in Italien.

Hat sich die Stimmung ihnen gegenüber in den vergangenen Jahren verändert?
Ahmed nickt. Erst vorgestern habe ihn eine Frau am Strand gefragt, warum das Schiff, das ihn hergebracht hat, nicht gesunken sei. Sprüche wie: Was willst du hier?, und: Warum gehst du nicht zurück? höre er jetzt ständig. Früher, sagt er, hätten hier alle ein Auge zugedrückt. Aber jetzt sei es stressig geworden. Immer rechts und links zu gucken, ob die Polizei irgendwo lauert. „Wir spüren das alle“, sagt er. „Ich habe Glück, dass mich die Leute hier am Strand schon lange kennen. Sie warnen mich, wenn die Polizei kommt, dann verziehe ich mich.“

Einmal, erzählt Ahmed, habe der Dorfpolizist ihn fast erwischt. Da habe er sich seinen Tücherstapel auf den Kopf getürmt und sei ins Wasser gegangen, bis zum Hals. Drei Stunden hätten sie sich so gegenüber gestanden, der Dorfpolizist am Strand und der Handtuchmann im Wasser. Dann sei der Dorfpolizist wieder abgezogen.

Ein paar Tage später sei eine Polizistenkollegin an den Strand gekommen. Ahmed habe gerade Pause gemacht. Sie habe eines seiner Depots entdeckt und die Tücher konfisziert. Er wisse nicht, ob sie ihn beobachtet hat und wusste, wo er sie aufbewahrt, oder ob sie einen Tipp bekommen hat. Die Tücher seien jedenfalls weg gewesen und der Flug nach Hause zu seiner Mutter wieder in weitere Ferne gerückt.

Wie viele Handtücher verkauft er über den Sommer, so ungefähr?
Er schüttelt den Kopf, überrascht über die Frage. Er hat keine Ahnung, sagt er, auch noch nie darüber nachgedacht.

Was verdient er so?
Er schüttelt wieder den Kopf und läuft weiter, vermeidet die Antwort, grüßt Leute, kennt fast jeden am Strand. Manche zeigen auf die Tücher, auf denen sie liegen, um zu signalisieren, die haben wir bei dir gekauft. Er streckt eine Hand aus, Daumen rauf. Eine Frau lacht ihn an und zeigt mit den Händen an, dass sie einen ganzen Stapel Tücher bei ihm gekauft hat. Daumen rauf. Von der anderen Seite des Strands kommt uns ein Handtuchmann entgegen. Er sieht Ahmed und dreht wieder um.

Sind eigentlich alle Handtuchverkäufer Marokkaner? „So ziemlich, ja.“

Warum?
„Wahrscheinlich war es so: Ein Marokkaner hat damit angefangen, ist nach Hause gefahren, hat zu seinem Bruder gesagt, komm mit nach Italien, ich zeige dir, wie du Geld verdienen kannst, der hat es seinem besten Freund erzählt und so weiter.“ Ahmed sagt, alle Waren seien irgendwie nach Volksstämmen aufgeteilt: Die Pakistani würden Armbänder verkaufen, die gefälschte Ware vor allem Senegalesen …

Und wie teilen die Marokkaner ihre Reviere untereinander auf?
„Jeder Verkäufer hat seinen Strand oder seine Strände, das respektiert man. An manchen Stränden wechseln sich auch zwei oder drei oder vier ab, aber sie gehören zu einer Gruppe hier, denn sie sind aus einer Gegend in Marokko.“

Gibt es jemanden, der sie kontrolliert? Dem sie Geld geben für ihr Revier? Er sagt, nein. Keine Mafia? Nein.

Am Ende seiner Tour verkauft Ahmed ein Tuch, eins für zwei Personen. 25 Euro. Der Vormittag sei auch nicht toll gewesen. An so einem Tag blieben ihm höchstens 15 Euro, sagt er, und die brauche er zum Leben, da sei nichts übrig für die Mutter in Marokko. Er wirkt vordergründig fröhlich, wenn er so mit den Leuten quatscht, den Schirm seiner schwarzen Baseballkappe keck aufgestellt. Aber seine schwarzbraunen Augen darunter sind traurig. Er sagt, dass er seine Arbeit nicht mag. Die Hitze, die Schlepperei, das sei ihm egal. Ihn störe, dass es keine richtige Arbeit ist. Zu nah am Betteln. „Ich übertrete immer eine Grenze“, sagt Ahmed. „Ich gehe hin, und da schläft vielleicht jemand, und ich störe den. Das ist entwürdigend.“

Mein Handtuchmann hat es einmal ähnlich formuliert: „Ich versuche, die Leute nicht anzusprechen. Aber manchmal bringt es nichts, den Strand einfach so entlangzulaufen. Dann muss ich mich überwinden.“

Am Abend trifft Ahmed Freunde in einer Dorfbar. Einer von ihnen sagt, dass den Handtuchmännern, die am Strand verkaufen, nach der Saison vielleicht 8.000 bis 10.000 Euro blieben. Er sagt, sie gäben in Italien mehr Geld aus als in Marokko, für Wohnen, Essen, Trinken, Benzin, die Fähre. Ein anderer am Tisch ist auch Handtuchmann, aber er hat einen Stand auf dem Markt, der jeden Tag in einem anderen Dorf auf der Insel stattfindet. Er erzählt: Vor 25 Jahren kam er aus Marokko nach Italien, da war er noch ein Junge, nun ist er ein Mann, verheiratet, drei Kinder, die in Italien geboren sind. Er betreibe seinen Handtuchhandel mit Gewerbeschein, trotz der Bürokratie. Er verkaufe auch Körbe, Schuhe, Taschen.

Machen ihm die Handtuchmänner vom Strand sein Geschäft nicht kaputt?
Nein, sagt er, es kommen so viele Touristen, und sie kaufen so viel, davon können alle gut leben.

Die Männer am Tisch bestätigen unabhängig voneinander, dass sie kein Geld an die Mafia bezahlen. Sie sagen, aber diejenigen, die an denselben Stränden wie sie Kokosnussstücke verkaufen, seien alles Neapolitaner. Über die hätten sie gehört, dass sie für die neapolitanische Mafia arbeiten. Darüber wurde schon in italienischen Zeitungen berichtet. Darüber, dass die Verkäufer der gefälschten Ware für die neapolitanische und die chinesische Mafia arbeiten, wurde auch schon berichtet.

Telefonate mit italienischen Ämtern ergeben dies: Die Antimafiabehörde in Florenz sagt, Fälle, in denen marokkanische Tuchverkäufer mit der Mafia zu tun gehabt hätten, seien nicht bekannt. Die Staatspolizei in Grosseto bittet um eine zertifizierte Mail, auf die sie nicht antwortet. Andere Polizeikorps weichen mit ihren Antworten aus. Der freundliche Mitarbeiter des italienischen Steuerbüros sagt, wenn man die Handtuchmänner machen lasse, gehe Italien nicht bankrott. Italien gehe bankrott am Süden, wo die Mafia allgegenwärtig sei und sich die Polizei in manche Städte gar nicht erst reintraue.

Aber das ist eine andere Geschichte.

Info
Die Reportage „Gratwanderer“, erschienen am 6. Juni vergangenen Jahres im SZ-Magazin, sollte während der ITB mit dem Columbus Autorenpreis 2019 für die „Beste Reportage“ ausgezeichnet werden.
Dieser und alle weiteren ausgezeichneten Beiträge der Columbus Journalistenpreise der VDRJ für das Erscheinungsjahr 2019 für Text,
Radio und Film sind zum Nachlesen, Reinhören und Anschauen online verfügbar.
“Beste Reportage“: Garbriela Herpell, Jahrgang 1959, Redakteurin beim SZ-Magazin

Sie schreiben gerne über Menschen, verrät die Autorenseite des SZ-Magazins. Und Ihr „Gratwanderer“ über einen marokkanischen Handtuchverkäufer am Strand von Elba hat die Columbus-Jury wirklich berührt. Wie nah kommen Sie selbst Ihren Protagonisten?

Ich versuche, den Protagonisten so nah wie möglich zu kommen, ohne zu privat zu werden. Das funktioniert meistens übers Gespräch. Je länger man redet und wenn man auch ein bisschen von sich erzählt, entwickeln sich oft Themen, die sich im offiziellen Interview nicht ergeben. Für ein Porträt versuche ich vor allem, gut zuzuhören und keinen Fragenkatalog abzufragen. Aber ich beobachte auch. Die kleinen Dinge, Bewegungen, Gewohnheiten, Sprache, Reaktion auf andere.

20 Jahre Urlaub am selben Ort, auf der italienischen Insel Elba – eher eine schlechte Voraussetzung, um Neues zu entdecken…

Ich finde, manche Dinge sieht man erst, wenn man lange irgendwo lebt oder immer wieder hinkommt. Manche Dinge ergeben sich auch erst, wenn man Leute sehr oft trifft und sie irgendwann anfangen, von sich zu erzählen.

Sie arbeiten schon über 30 Jahre als Journalistin, mal als Freie, mal als festangestellte Redakteurin. Wie hat sich Ihr Selbstverständnis in dieser Zeit gewandelt?

Ich glaube, ich bin vor allem sicherer geworden, was ich brauche, um eine Geschichte schreiben zu können. Und ich bin viel genauer und geduldiger als früher, was sehr hilfreich ist. Ich brauche lange für Geschichten, das habe ich herausgefunden und akzeptiert.

Wir danken den Sponsoren der Columbus-Autorenpreise 2019:

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